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Die Schnapsstadt

Die Schnapsstadt

Titel: Die Schnapsstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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zurückzuwerfen. Blutig, aber ungebeugt ließ er Yichis Taverne und ihr dämonisches Treiben hinter sich.
    Der Ermittler hatte seinen Weg über die dunkle Gasse kaum angetreten, als ihm plötzlich die Füße wegrutschten und er der Länge nach hinschlug. Sein Hinterkopf schlug schwer auf das kalte glatte Pflaster. Er rappelte sich langsam und vorsichtig auf und machte sich taumelnd und torkelnd wieder auf seinen Weg über unwegsames und eisiges Gebiet. Die Straße war so schlüpfrig, wie er es noch nie erlebt hatte. Als er sich umwandte und einen Blick über die Schulter warf, fielen ihm die hellen Lichter von Yichis Taverne in die Augen und drangen ihm ins Herz. Wie ein wildes Tier, das vom Schuss des Jägers getroffen ist, fiel er stöhnend wieder um. Blaue Flammen loderten in seinem Kopf, heißes Blut stieg ihm ins Gehirn und ließ es anschwellen, bis sein Schädel zu platzen drohte wie ein aufgeblasener Ballon. Unsägliche Schmerzen ließen ihn den Mund aufreißen. Er wollte heulen wie ein Tier. Aber der erste Schrei, der aus seiner Kehle drang, rollte grollend über die Pflastersteine wie ein Wasserwagen mit hölzernen Rädern. Schon begann auch sein Körper, der Lockung des grollenden Klangs zu folgen, und rollte unbeherrscht über die Straße. Erst versuchte er, den Holzrädern zu folgen, dann wälzte er sich beiseite, um nicht von ihnen zerdrückt zu werden, dann verwandelte er sich selbst in ein hölzernes Rad und folgte den anderen Rädern. Als er so mit all den anderen Rädern dahinrollte, konnte er die Straße, die Mauern, die Bäume, die Menschen, die Gebäude sehen … und sie alle drehten sich in endlosem Taumel immer wieder um sich selbst. Ein ewiger Kreislauf von 0 Grad auf 360 Grad. Wie er sich so auf dem Boden wälzte, bohrte sich immer wieder ein scharfer Gegenstand schmerzhaft in seine Hüfte: die Pistole. Er zog sie aus dem Gürtel und umklammerte den vertrauten Griff. Sein Herz begann wie wild zu schlagen, und vergangene Stunden des Ruhms füllten seinen Geist. Ding Gou'er, wie tief bist du gesunken? Du wälzt dich im Dreck wie ein gemeiner Trunkenbold. Du hast dich in einen Haufen Abfall verwandelt. Und das alles für eine Frau, die mit einem Zwerg geschlafen hat. Ist sie das wert? Nein! Steh auf! Stehe auf eigenen Füßen! Zeig ein bisschen Würde! Mit schwerem Kopf hob er seinen Körper, auf die Hände gestützt, vom Boden. Die hellen Lichter von Yichis Taverne strahlten verführerisch. Ein Blick auf diese hellen Lichter, und in seinem Kopf loderten grüne Flammen auf und verzehrten die Stimme der Vernunft. Er wandte sich von den Lichtern des Bösen ab, die über Drogenmissbrauch und Fleischeslust schienen und ungeheure Verbrechen beleuchteten, Lichter so verführerisch wie ein Mahlstrom. Er selbst war nur ein einsamer Grashalm am Rande des Strudels. In der Hoffnung, der Schmerz werde die verbotenen Gedanken besiegen, stieß er sich die Mündung der Pistole tief ins weiche Fleisch des Oberschenkels. Wieder auf den Beinen, marschierte er, bei jedem Schritt laut aufstöhnend, weiter voran in die Dunkelheit.
    Die schmale Gasse schien sich endlos hinzuziehen. Keine Straßenlaternen wiesen ihm den Weg. Blasses Sternenlicht verlieh den Mauern rechts und links von ihm Gestalt. Schnee und Regen fielen immer schwerer in die finstre Nacht, begleitet von einem leisen, herzerwärmenden Rauschen, das von Kiefern und Zypressen hinter den Mauern sprach und für die Geister all derer stand, die im Lauf so vieler Jahre diesem Ort zum Opfer gefallen waren. Wenn Tausende und Zehntausende für das Wohl des Volkes geopfert werden können, gibt es dann irgendein Leiden, das die Lebenden nicht überwinden könnten? Der Gedanke an den Ausspruch des Großen Vorsitzenden Mao milderte das Leid in seinem Herzen ein wenig.
    Die Lichter von Yichis Taverne waren hinter mehreren Gebäudezeilen verschwunden. Verwirrt und in Gedanken versunken, konnte er die schmale Gasse zwischen den hohen Mauern nicht mehr ausmachen. Unaufhaltsam verstrich die Zeit. Im Dunkel dämmerte die Nacht unter Schnee und Regen dem Morgen entgegen. Das ferne Bellen eines Hundes unterstrich das dunkle Geheimnis dieser Stadt der Finsternis. Ohne es zu merken, hatte er das Kopfsteinpflaster der schmalen Gasse verlassen. Das Zischen einer Karbidlampe begrüßte ihn. Wie die Motte dem Licht strebte er der hellen Wärme entgegen.
    Im Schein der Lampe konnte er einen tragbaren Stand ausmachen, hinter dem ein alter Mann Wantans verkaufte. Goldene Strahlen

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