Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schnapsstadt

Die Schnapsstadt

Titel: Die Schnapsstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
Vom Netzwerk:
bin, kann nur bedeuten, dass du mich für einen Schurken gehalten hast, der dir den Garaus machen kann, wenn ihm so ist. Du hast mir die Wantans nicht aus freiem Willen angeboten, und ich kann dies Missverständnis nicht einfach im Raum stehen lassen. Wir werden Folgendes tun: Ich werde dir meinen Namen und meine Adresse dalassen, und wenn du jemals in Schwierigkeiten bist, brauchst du dich bloß an mich zu wenden. Hast du einen Kugelschreiber?»
    «Ich bin ein einfacher Wantan-Verkäufer und Analphabet. Was sollte ich mit einem Kugelschreiber?», sagte der Alte. «Und außerdem, Chef, weiß ich, dass Sie eine wichtige Persönlichkeit sind, die sich in geheimer Mission hier aufhält. Sie brauchen mir Ihren Namen und Ihre Adresse nicht dalassen. Alles, was ich will, ist, dass Sie mich am Leben lassen.»
    «Geheime Mission? Ach, Scheiße! Ich bin der unglücklichste Mann auf Erden. Und ich werde diese Wantans bezahlen, egal, was geschieht. Weißt du, was …»
    Er legte den Sicherungshebel der Pistole um und zog eine einzelne Patrone aus dem Magazin, die er dem alten Mann übergab.
    «Du kannst sie als Andenken behalten», sagte er.
    Der Alte machte eine abwehrende Handbewegung.
    «Nicht doch, nicht doch! Das geht wirklich nicht. Ein paar Schälchen ungenießbare Wantans. Was sollen die schon wert sein, Chef? Allein die Gelegenheit, einen guten und anständigen Mann wie Sie kennen zu lernen, ist für einen wie mich Glück genug für drei Leben. Nein, wirklich. Das geht nicht …»
    Der Ermittler konnte das Geschwätz des Alten nicht mehr ertragen. Er packte seine Hand und zwang ihn, die Patrone anzunehmen. Die Handfläche brannte wie Feuer.
    Von hinten hörte er jemanden höhnisch kichern. Ein Geräusch wie der Schrei einer Eule auf einem Grabstein. Vor Schreck zog er den Kopf ein, und schon wieder lief ihm der Urin am Hosenbein hinab.
    «Ein schöner Ermittler!» Es war die Stimme eines alten Mannes. «Eher ein entflohener Sträfling als ein Ermittler!»
    Vor Furcht zitternd, drehte er sich nach dem Fremden um. Unter einem mächtigen Gingkobaum stand ein alter Mann in einer zerfledderten Armeeuniform und richtete eine doppelläufige Schrotflinte auf ihn. Ein langhaariger Hund mit Tigerstreifen kauerte bewegungslos und bedrohlich neben ihm. Seine Augen leuchteten wie Laserstrahlen. Der Ermittler hatte mehr Angst vor dem Hund als vor dem Mann.
    «Großvater Qiu, bin ich dir wieder in die Quere gekommen?», fragte der Verkäufer den alten Mann mit gedämpfter Stimme.
    «Liu Vier, wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst deinen Stand nicht hier aufstellen? Warum hörst du nicht auf mich?»
    «Großvater Qiu, ich will dich nicht ärgern. Aber was soll ein armer Mann wie ich schon tun? Ich muss das Schulgeld für meine Tochter zahlen. Für meine Kinder würde ich alles tun, aber ich traue mich nicht, in die Stadt zu gehen. Wenn sie mich erwischen, verpassen sie mir eine Geldstrafe, und schon sind die Einnahmen eines halben Monats zum Teufel …»
    Großvater Qiu wedelte mit der Schrotflinte in der Luft herum. «Du da», befahl er streng. «Wirf die Pistole rüber!»
    Wie ein gehorsames Kind warf Ding Gou'er die Pistole dahin, wo Großvater Qiu stand.
    «Hände hoch!», befahl Großvater Qiu.
    Langsam hob Ding Gou'er die Hände und sah zu, wie der hagere alte Mann, den der Wantan-Verkäufer Großvater Qiu nannte, seine Schrotflinte mit der einen Hand umklammerte, um die andere freizubekommen. Dann ging er in die Knie, hielt aber dabei den Oberkörper aufrecht, damit er notfalls schießen konnte, und hob die Dienstwaffe des Ermittlers auf. Großvater Qiu untersuchte die Pistole von allen Seiten, bevor er enttäuscht verkündete: «Eine abgegriffene alte Luger!»
    Ding Gou'er ergriff die Gelegenheit, sich bei dem Alten einzuschmeicheln, und sagte: «Man kann sehen, dass Sie ein Waffenexperte sind.»
    Das Gesicht des alten Mannes leuchtete auf. Mit hoher, heiserer, aber irgendwie immer noch kräftiger Stimme sagte er: «Da hast du Recht. Ich habe es in meinem Leben mit mindestens dreißig, vielleicht sogar fünfzig Waffen zu tun gehabt, vom tschechischen Karabiner über die Hanyang, die russische Kalaschnikow und Thompsons Maschinenpistole bis zum neunschüssigen Repetiergewehr … und das sind nur die Gewehre. An Handfeuerwaffen habe ich die deutsche Mauser, den spanischen Trommelrevolver, die japanische Schildpattmauser, den chinesischen Trommelschlägelrevolver und drei verschiedene Selbstschutzwaffen für den

Weitere Kostenlose Bücher