Die Schnapsstadt
ein alter Mann mit dem Familiennamen Sun, der dem Trunk ergeben war. Er war sehr trinkfest und trank häufig mehrere Liter auf einmal. Früher einmal hatten ihm zehn Morgen fruchtbares Ackerland und mehrere mit Ziegeln gedeckte Häuser gehört, von denen jedes ein Dutzend Zimmer hatte, aber sie waren alle verloren gegangen, um die Folgen seiner Trunksucht zu bezahlen. Seine Frau, eine geborene Liu, nahm die Kinder mit und heiratete einen anderen.
Der alte Mann strich als gemeiner Bettler mit verfilztem Haar, schmutzigem Gesicht und zerlumpten Kleidern durch die Straßen. Wenn er sah, wie jemand Schnaps kaufte, bettelte er ihn um einen Schluck an, indem er vor ihm niederkniete und mit der Stirn den Boden berührte, bis sie blutete; ein Mitleid erregender Anblick. Eines Tages erschien plötzlich aus dem Nichts ein weißhaariger Greis mit jugendlichem Gesicht vor ihm und sagte. «Einhundert Meilen südöstlich von hier liegt ein hoher Berg, den man den Berg des Weißen Affen nennt. Der Berg ist von einem dichten Wald bedeckt. In dem Wald haben die Affen einen Teich voll Schnaps angelegt. Warum gehst du nicht dorthin, um deinen Durst zu stillen? Ist das nicht besser, als hier die Leute anzubetteln?» Als er diese Worte hörte, verneigte sich der alte Sun, ohne ein Wort zu sagen, und machte sich flink wie der Wirbelwind auf den Weg. Drei Tage später erreichte er die Ausläufer des Gebirges, und als er aufsah, erblickte er dichten Wald, aber keinen Pfad. Also klammerte er sich an Ranken und Wurzeln und kletterte weiter. Schließlich kam er in einen Wald, in dem uralte Bäume zum Himmel aufragten und das Sonnenlicht verdeckten, in dem der Erdboden von einem dichten Gewirr von Ranken und Wurzeln bedeckt war und in dem seltsame Vogelrufe erklangen. Vor ihm erschien ein riesiges Tier. Es war so groß wie ein Ochse, seine Augen leuchteten wie der Blitz, seine Stimme glich dem Donner. Pflanzen und Bäume zitterten vor ihm. Entsetzt versuchte Sun zu fliehen. In der Eile stürzte er in eine tiefe Schlucht. Er blieb kopfüber an einem Baum hängen und glaubte schon, sein letztes Stündlein sei gekommen. Da drang ihm der Geruch von Schnaps in die Nase, und seine Lebensgeister erwachten wieder. Er stieg von seinem Baum, folgte dem Geruch und gelangte an einen Ort, an dem dichtes Buschwerk stand. An den Bäumen hingen fremdartige Blüten und seltene Früchte. Ein kleiner weißer Affe pflückte eine Traube bernsteinfarbener Früchte. Als er weglief, folgte ihm der alte Sun auf eine helle Lichtung. Er sah einen gewaltigen Felsen, der mehrere Fuß hoch war, und mitten in dem Felsen eine metertiefe Mulde. Der kleine Affe warf die Früchte in die Mulde. Sie krachten und knisterten wie zerbrochene Ziegelsteine. Aus der Mulde stieg Schnapsgeruch. Er näherte sich und sah genauer hin. Er sah, dass die Mulde voll von köstlichem Schnaps war. Eine Gruppe von Affen näherte sich. Sie trugen große Blätter wie runde Fächer, die zu Schöpflöffeln gefaltet waren.
Damit schöpften sie den Schnaps aus der Mulde. Es dauerte nicht lange, bis sie sich alle höchst lächerlich benahmen. Sie stolperten und torkelten, bleckten die Zähne und warfen einander neckische Blicke zu. Als der alte Mann sich näherte, zogen sich die Affen ein paar Schritt zurück und stießen ärgerliche Rufe aus. Aber er kümmerte sich nicht darum. Er stürzte hin, steckte den Kopf in die Mulde und fing an, Schnaps in sich hineinzuschlürfen wie ein Walfisch. Er stand lange Zeit nicht auf, und als er schließlich aufstand, waren seine Eingeweide gereinigt, seinen Mund erfüllte ein wunderbarer Geschmack, und er fühlte sich schwerelos wie ein Unsterblicher. Dann benahm er sich genau wie die betrunkenen Affen. Er sprang in die Luft, schrie und brüllte. Bald folgten die Affen seinem Beispiel, und sie vertrugen sich gut miteinander. Von da an blieb er in der Nähe des Felsens, schlief, wenn er müde war, trank, wenn er wach war, und spielte manchmal mit den Affen. Dies Leben bereitete ihm so viel Vergnügen, dass er keine Lust hatte, den Berg wieder zu verlassen. Im Dorf glaubte man, er sei tot. Man erzählte sich Geschichten über ihn, die alle kleinen Kinder kannten. Jahrzehnte später verlief sich ein Holzfäller im Gebirge und traf dort den alten Sun, den er für eine Berggottheit hielt, weil Sun zwar weiße Haare, aber einen jugendlichen Teint, einen gesunden Körper und ein fröhliches Gemüt besaß. Der Holzfäller kniete vor Sun nieder und verneigte sich. Der sah ihn
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