Die Schnapsstadt
eine Schnapsbrennerei.
Der Brunnen der Tochter lag vielleicht fünfhundert Meter vom Tempel der Unsterblichen Mutter entfernt. Das Wasser kam aus den süßen Quellen des Flusses Liquan. Es lief durch einen natürlichen Filter aus Sand und Felsen und trat klar, süß und eiskalt an die Oberfläche. Der Brunnen galt als der beste in Jiuguo. Es hieß, eine schöne Frau habe sich in dem Brunnen ertränkt und nach ihrem Tod habe sie sich in eine Wolke verwandelt, die den Brunnen einhüllte und sich nicht zerstreuen ließ. Aber Yuan Sanlius Ururenkel hatte nicht vergessen, dass der Brunnen der Tochter früher einmal die Quelle erstklassigen Wassers für Eleganter Schritt gewesen war. Yuan Jiuwu war nicht nur ein Meister der Destillierkunst, sondern auch ein Mann, der einen Sinn für historische Traditionen besaß. Dass er das Wasser für seinen neuen Schnaps aus dem Brunnen der Tochter bezog, war für die Halle des Glücks und der Schönheit nicht nur deshalb bedeutsam, weil «Wasser das Lebensblut der Brennerei ist», sondern auch weil mit diesem Wasser Eleganter Schritt gebrannt worden war und so, «da die Götter die Seele der Brennerei sind», aus diesem Brunnen der Reichtum einer historischen Kultur strömte.
Außergewöhnlicher Ehrgeiz, außergewöhnliche Fähigkeiten und ein außergewöhnliches Brunnenwasser brachten, wie nicht anders zu erwarten war, einen außergewöhnlichen Neuanfang mit sich. Schwere Wolken und Regen wurde sofort nach seiner Markteinführung zu einem Verkaufsschlager. Die Halle des Glücks und der Schönheit war so belebt wie ein Marktplatz und wurde von Arbeitern und Gelehrten und Pensionären und Kleinkriminellen besucht. Ein Dichter namens Li Sandou oder Li «Drei-Kannen» hat zwei Gedichte zum Lobe von Schwere Wolken und Regen geschrieben. Die Gedichte lauten:
Seit langem weilt der Lenz im Tempel der großen Mutter.
Zu schwebenden Wolken ward das duftende Wasser im Brunnen.
Bezaubernd ist der Anblick einer schönen Frau,
Doch starkes Gebräu hält den wahren Mann gefangen.
In Wasser gekleidet, das Gesicht in den Wolken
Liegt Liu Ling nackt und betrunken am Ufer.
Wasser und Wolken hat er getrunken, braucht keinen Traum.
Der Wein, den er trank, ist mehr als die Liebe der Feen.
Auch wenn diese Gedichte den Tonfall der Straße aufnehmen, geben sie doch in hervorragender Weise den einzigartigen Reiz von Schwere Wolken und Regen wieder.
Vorne im Laden und hinten in der Brennerei der Halle des Glücks und der Schönheit am Tempel der Unsterblichen Mutter fanden Getränk und Kunde leicht zueinander. Fromme Pilger erblickten, lange bevor sie den Tempel erreichten, die große goldene Anzeigetafel mit ihren schwarzen Schriftzeichen. Die elegante und unkonventionelle Schrift stammte aus dem Pinsel des in ganz China bekannten Kalligraphen Jin Maogui; die Schriftrollen zu beiden Seiten der Tür hatte die berühmte Gelehrte Frau Ma Kuni ausgewählt. Die Inschrift lautete:
Trittst du auch ein mit gerunzelten Brauen und düsterem Sinn,
Wenn du gehst, hältst du voll Liebe dein Herz in der Hand.
Das Geschäft war elegant eingerichtet und sprach von vornehmer Bildung. Das Rollbild an der Stirnwand war ein farbenprächtiges Gemälde der bekanntesten Malerin von Jiuguo, Frau Li Mengnian. Es stellte die betrunkene und halb entkleidete kaiserliche Konkubine Yang Guifei dar. Ihr üppiger Körper glänzte wie Öl. Besonders auffällig waren die kirschroten Brustwarzen. Wer hierher kam, um ein Schälchen zu trinken, fand Vergnügen für das Auge wie für den Geist.
Die Trinkgefäße in diesem Laden waren einmalig in ganz Jiuguo. Die Kelche sahen aus wie wohl geformte Frauenbeine. Je nach den Wünschen der Kunden gab es sie in den Größen dreißig Kubikzentimeter, neunzig Kubikzentimeter und ein Viertelliter. Eines dieser Beine in Händen zu halten und von seinem duftenden Inhalt zu kosten, war ein einzigartiger Genuss. Schönheit, Pracht, unvergleichliche Schönheit und Pracht!
Erstklassige Getränke, elegante Ausstattung und ein guter Ruf ließen eine endlose Reihe von seltsamen Geschichten und heiteren Anekdoten entstehen.
Es heißt, in einer kalten Winternacht zur Zeit des Kaisers Guangxu der Großen Qing-Dynastie gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, als treibende Schneeflocken durch die Luft wirbelten und der Boden weiß war von Schnee, habe der Besitzer der Halle des Glücks und der Schönheit gerade den Laden schließen wollen, als aus dem Dunkel ein Mann mit einer Laterne die Gaststube betrat.
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