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Die Schnapsstadt

Die Schnapsstadt

Titel: Die Schnapsstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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wie Päonien. Ihre Bemerkung war so etwas wie ein Trompetenstoß, ein feierlicher Weckruf für unseren Kampfgeist. Ich will so werden, wie Sie damals waren: Ich will auf Reisig schlafen und mich von Galle ernähren. Funken sollen aus meinen Augen sprühen, meine Feder soll meine Waffe sein, ich werde den Tod der Ehrlosigkeit vorziehen.
    Verehrter Meister! Wenn ich den Geschichten lausche, die Liu Yan über Sie erzählt, und dann den Brief lese, den Sie mir geschickt haben, bin ich traurig und enttäuscht. Was Sie mir raten, ist nicht viel anders als das, was Wang Meng getan hat, als er damals die jungen Schriftsteller (zu denen auch Sie gehörten) bremsen wollte! Was für ein Herzeleid hat mir das verursacht! Verehrter Meister, ach, verehrter Meister! Bitte folgen Sie nicht dem Vorbild derart schamlos kleinlicher Individuen. Nachdem Sie dem Bettelstab Adieu gesagt haben, sollten Sie sich nicht gegen die anderen Bettler wenden. Vergessen Sie bitte nicht den Schmerz, sobald die Wunde vernarbt ist. Wenn Sie das tun, werden Sie nicht nur meine Liebe und Ehrerbietung verlieren, sondern auch die Zehntausender junger Schriftsteller, die mir gleichen.
    Verehrter Meister! Gestern Abend habe ich eine neue Erzählung geschrieben. Der Titel ist Fleischkind. Ich glaube, in dieser Erzählung habe ich den Stil Lu Xuns in reiferer Weise weitergeführt und meine Feder in einen scharf geschliffenen Dolch verwandelt, um den glänzenden Lack unserer Zivilisation anzukratzen und den barbarischen Kern unserer elenden Moral bloßzulegen. Meine Erzählung kann als ein Beispiel des «grausamen Realismus» gelten. Absichtlich habe ich den Vertretern der «Punk-Bewegung», die die Literatur als ein Spielzeug betrachten, den Fehdehandschuh hingeworfen. Für mich ist Literatur ein Mittel zur Erweckung des Volks. Ich wollte eine heftige Attacke gegen die korrupten, käuflichen Kader von Jiuguo reiten. Meine Erzählung stellt so etwas wie «einen Sonnenstrahl in unserem Reich der Finsternis» dar. Sie soll für unsere Zeit das sein, was Lu Xuns Tagebuch eines Verrückten für die seine war. Ich lege den Text diesem Brief bei und erwarte Ihre Kritik. «Ein wahrer Materialist kennt keine Furcht.» Also glauben Sie bitte nicht, mich schonen zu müssen. Sagen Sie Ihre Meinung freiheraus und nehmen Sie kein Blatt vor den Mund. Die Karten auf den Tisch zu legen gehört zu den großen Traditionen unserer Partei.
    Wenn Sie Fleischkind gelesen haben und der Meinung sind, man könne den Text veröffentlichen, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie eine Heimat dafür finden könnten. Natürlich weiß ich, dass man heutzutage schon Beziehungen braucht, um eine Leiche im Krematorium abzuliefern, und vermutlich ist es noch schlimmer, wenn man Belletristik veröffentlichen will.
    Nehmen Sie also den Kampf auf! Wenn Sie jemanden zum Essen einladen müssen, tun Sie es. Wenn Geschenke nötig werden: Ich bin einverstanden. Ich werde die Kosten übernehmen. (Bitte denken Sie daran, die Quittungen aufzubewahren.)
    Ich habe viel Arbeit in Fleischkind investiert, und deshalb ist die Volksliteratur die Zeitschrift meiner ersten Wahl. Ich habe meine Gründe dafür: Erstens ist die Volksliteratur das offizielle Literaturorgan Chinas und kämpft in erster Reihe für neue literarische Strömungen. Eine Veröffentlichung in der Volksliteratur ist mehr wert als zwei in einer Provinzzeitschrift. Zweitens habe ich mich zur Strategie des «Einhämmerns auf einen Punkt und die anderen vergessen» entschlossen. Nur so kann man die mächtige Festung Volksliteratur erstürmen!
     
    Mit ehrerbietigem Gruß
    Ihr Schüler
    Li Yidou
     
    PS: Ein Freund hat geschäftlich in Peking zu tun, und ich habe ihn gebeten, zwölf Flaschen des edelsten Destillats unserer Schnapsstadt Jiuguo, Tausend Grüne Ameisen, an dessen Entwicklung im Labor ich beteiligt war, bei Ihnen abzuliefern. Ich hoffe, es schmeckt Ihnen.
    Li Yidou

III
     
    Herr Doktorand der Alkoholkunde!
     
    Wie geht es Ihnen?
    Vielen Dank für die Tausend Grünen Ameisen. Farbe, Bouquet und Geschmack sind erstklassig, aber ich habe das Gefühl, dass es dem Destillat irgendwo an Harmonie mangelt, etwa so wie bei einem Mädchen mit gut geschnittenen Gesichtszügen, dem dennoch der undefinierbare Reiz fehlt, der sie zur wahren Schönheit machen würde. Auch der Schnaps meiner Heimatstadt ist für seine hohe Qualität bekannt, obwohl er nicht an das heranreicht, was in Jiuguo hergestellt wird. Mein Vater hat mir erzählt, dass es vor der

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