Die Schnapsstadt
Befreiung in unserem kleinen und armseligen Dorf zwei Brennereien gab, die Hirseschnaps herstellten und die beide namentlich bekannt sind. Die eine hieß Zongji, die andere Juyuan. Sie beschäftigten Dutzende von Arbeitern, Maultieren und Pferden und machten einen gewaltigen Lärm. Nahezu jede Familie in unserem Dorf stellte Hirseschnaps her, und über allen Häusern hing eine Alkoholwolke. Ein Onkel meines Vaters hat mir einmal genau erklärt, wie eine Brennerei funktioniert: Destillation, Technologie, Verwaltung etc. Er hat mehr als ein Jahrzehnt bei Zongji gearbeitet. Seine Schilderungen haben einen reichen Schatz an Hintergrundmaterial für meinen Roman Das rote Kornfeld geliefert. Der durchdringende Schnapsgeruch, der über dem Dorf lag, war natürlich auch eine Quelle ständiger Inspiration.
Alkohol interessiert mich in hohem Maße. Ich habe viel über den Zusammenhang zwischen Alkohol und Kultur nachgedacht. Das Kapitel Hirsebrand in meinem Roman gibt meine Gedanken zu diesem Thema recht genau wieder. Ich wollte schon immer einen Roman über Alkohol schreiben, und die Bekanntschaft eines Doktoranden im Fach Alkoholkunde gemacht zu haben ist ein Glück, das für drei Menschenleben ausreicht. Höchstwahrscheinlich werde ich Sie in Zukunft mit Fragen überschütten, also hören Sie bitte auf, mich «verehrter Meister» zu titulieren.
Ich habe Ihren Brief und die Erzählung Fleischkind gelesen und habe mir allerhand Gedanken dazu gemacht, die ich mit Ihnen teilen möchte. Ich werde sie in beliebiger Reihenfolge aufschreiben und fange mit Ihrem Brief an:
1. Meiner Meinung nach sind Charakterzüge wie Arroganz und Bescheidenheit beim Menschen einander zugleich entgegengesetzt und voneinander abhängig. Man kann nicht sagen, was von beidem gut und was schlecht ist. Tatsächlich sind Menschen, die arrogant wirken, oft in Wirklichkeit bescheiden, und Leute, die bescheiden wirken, sind in der tiefsten Tiefe ihres Herzens ganz schön eingebildet. Manche Menschen sind zu bestimmten Zeiten, unter bestimmten Umständen arrogant, aber zu anderen Zeiten, unter anderen Umständen äußerst bescheiden. Wahrscheinlich gibt es weder absolute Arroganz noch lebenslange Bescheidenheit. Die «unangemessene Arroganz», von der Sie sprechen, ist weitgehend eine chemische Reaktion, die man niemandem zum Vorwurf machen kann. Wenn Sie mit sich selbst zufrieden sind, nachdem Sie ein paar Gläschen getrunken haben, soll mir das recht sein, und ein paar gezielte Beschimpfungen der Redakteure der Volksliteratur verstoßen gegen kein mir bekanntes Gesetz. Das gilt umso mehr, als Sie sich keiner Form von übler Nachrede oder Bemerkungen über ihre Mütter oder dergleichen schuldig gemacht haben. Sie haben nur geschrieben: «Wenn sie sich nicht zu einer Veröffentlichung entschließen, müssen sie blind sein.»
2. Herr Li Qi hat seine Gründe gehabt, seinen Roman so zu schreiben, wie er es getan hat. Wenn er Ihnen nicht gefällt, schmeißen Sie ihn weg und vergessen ihn. Falls Sie Herrn Li jemals treffen, geben Sie ihm ein paar Flaschen Tausend Grüne Ameisen und machen Sie sich aus dem Staub. Begehen Sie auf keinen Fall – ich wiederhole: auf keinen Fall – den Fehler, sich auf eine romantisch-revolutionäre Attitüde wie «ihm steht der größte Krach seines Lebens bevor» zu versteifen. Der Mann hat enge Verbindungen zur Unterwelt. Seine Bösartigkeit wird allenfalls noch von seiner Brutalität übertroffen. Darin ist er völlig hemmungslos. In Peking erzählt man sich die Geschichte von einem Literaturkritiker, der eines Abends nach einem guten Abendessen einen kritischen Artikel über den Beitrag Li Qis zur Weltliteratur schrieb und ihn in irgendeiner Zeitschrift veröffentlichte. Noch ehe drei Tage vergangen waren, wurde die Frau dieses Literaturkritikers von Li Qis Leuten entführt und als Prostituierte nach Thailand verkauft. Hören Sie auf meinen Rat und machen Sie einen weiten Bogen um diesen Typ! Es gibt Leute auf dieser Welt, mit denen würde sich nicht einmal der liebe Gott anlegen, und Li Qi ist einer davon.
3. Da Sie sagen, Sie seien entschlossen, Schriftsteller zu werden, werde ich Ihnen nie wieder raten, den verlorenen Sohn zu spielen, und sei es nur, um mir nicht Ihren Abscheu zuzuziehen. Wenn jemand versehentlich einen anderen dazu bringt, ihn zu verabscheuen, kann man nichts machen. Wenn er es aber absichtlich tut, ist es, als wolle man «vor dem Spiegel die Augen rollen und nach Hässlichkeit suchen». Ich bin schon
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