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Die Schnapsstadt

Die Schnapsstadt

Titel: Die Schnapsstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Yuanbao zum Ufersand und brach einen Zweig als Spielzeug von einem Baum. Er suchte nach Pfeife und Tabaksbeutel. Als er die Pfeife an den Mund hob, spürte er, wie schwer seine Arme waren. Inzwischen schlug der Kleine mit seinem neuen Spielzeug schwarze Ameisen tot. Der Ast war so schwer, dass er beinah umfiel, wenn er ihn über den Kopf hob. Die rote Sonne, die am Himmel aufstieg, tauchte nicht nur die Wasserfläche, sondern auch das Gesicht des kleinen Jungen in schimmernden Glanz. Jin Yuanbao ließ seinen Sohn alleine spielen. Der Fluss war an dieser Stelle über zweihundert Meter breit, und das schlammige Wasser strömte träge und majestätisch dahin. Als die Sonne sich am Himmel zeigte, lag ihr Spiegelbild im Wasser wie ein gestürzter Uferpfeiler auf einem gelben Samttuch. Niemand, der bei Verstand war, würde auf die Idee kommen, über so einen Fluss eine Brücke zu bauen.
    Die Fähre war noch am gegenüberliegenden Ufer vertäut und tanzte auf dem seichten Wasser. Aus der Entfernung sah sie sehr klein aus. Auch aus der Nähe gesehen war es kein großes Boot. Yuanbao war schon einmal am anderen Ufer gewesen. Der Fährmann war ein tauber alter Mann, der in einer Lehmhütte am Ufer wohnte. Yuanbao sah den grünlichen Rauchfaden, der über dem Dach stand, und wusste, dass der taube Fährmann sein Frühstück zubereitete. Es blieb ihm nichts übrig, als zu warten.
    Mit der Zeit kamen andere Fahrgäste: ein alter Mann, eine alte Frau, ein Teenager, eine Frau mittleren Alters mit einem Säugling im Arm. Das alte Paar – sie waren wohl Mann und Frau – saßen ruhig da und starrten mit Augen so leer wie Murmeln auf das schlammige Wasser. Der Oberkörper des Knaben war nackt, er war barfuß und trug nur ein Paar kurze blaue Hosen. Sein Gesicht war blass und schuppig wie sein fast nackter Körper. Er lief zum Ufer, um einen Urinstrahl ins Wasser zu lassen, und sah dann Yuanbaos Sohn zu, wie der die schwarzen Ameisen mit dem Ast zu Brei schlug. Er sagte etwas Unverständliches, das der Junge merkwürdigerweise zu verstehen schien, denn er lachte und zeigte seine Milchzähne. Das ungekämmte Haar der Frau mit dem schlechten Teint wurde von einem weißen Band zusammengehalten. Sie trug eine blaue Jacke und schwarze Hosen. Beides schien kürzlich gewaschen. Jin Yuanbao blickte erschreckt auf, als sie das Baby abhielt. Ein Junge! Ein Rivale! Aber bei näherem Hinsehen erwies sich der fremde Junge als viel magerer als sein Sohn. Seine Haut war dunkel, und sein Haar war stumpf und braun. Der Kleine stellte keine Konkurrenz für Xiaobao dar. Das stimmte ihn freundlich.
    «Schwägerin», sprach er sie an, «bist du auch auf dem Weg dorthin?»
    Sie warf ihm einen misstrauischen Blick zu und drückte das Kind enger an sich. Ihre Lippen zitterten, aber sie blieb stumm.
    Jin Yuanbao fühlte sich zurückgewiesen. Er ging ein paar Schritt weiter und blickte auf die Landschaft jenseits des Flusses.
    Die Sonne stand jetzt gut einen Klafter über dem Fluss, der nicht mehr schmutzig gelb, sondern glasig golden aussah. Die Fähre lag weiterhin ruhig am anderen Ufer vertäut. Vom Dach der Hütte stieg weiterhin Rauch auf. Der taube Fährmann ließ sich nicht blicken.
    Xiaobao und der Junge mit der Schuppenflechte waren Hand in Hand ein paar Schritte am Ufer entlanggegangen. Besorgt rannte Yuanbao hinterher und riss Xiaobao in seine Arme. Der schuppige Junge starrte ihn erstaunt und verständnislos an. Xiaobao fing an zu weinen und wollte sich aus den Armen seines Vaters losreißen.
    Beruhigend sagte Yuanbao: «Nicht weinen! Nicht weinen! Komm, wir gucken zu, wie der alte Fährmann sein Boot herüberstakt.»
    Erneut warf er einen Blick zum anderen Ufer hinüber. Wie bestellt hinkte ein Mann, der im Morgenlicht zu glänzen schien, zur Fähre. Ein paar Fahrgäste folgten ihm.
    Jin Yuanbao klammerte sich fest an Xiaobao, der sich bald beruhigte und aufhörte zu weinen. Mit stockender Stimme sagte er, er sei hungrig. Also zog sein Vater eine Hand voll gebratene Sojabohnen aus der Tasche, kaute sie weich und schob Xiaobao den Brei in den Mund. Der Junge fing wieder an zu weinen, als schmecke ihm das Essen nicht, aber er schluckte es trotzdem herunter.
    Als die Fähre die Hälfte des Wegs zurückgelegt hatte, sprang ein großer bärtiger Mann aus dem Ufergebüsch. Er trug ein Kind im Arm, das mindestens sechzig Zentimeter groß war. Schweigend reihte sich der Bärtige unter die Wartenden ein.
    Jin Yuanbao spürte den Geschmack von verbrannten

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