Die Schnapsstadt
Nüssen im Mund. Aus irgendeinem Grund wurde er nervös, als er den bärtigen Mann sah, der sich ruhig die Leute am Ufer anschaute. Seine Augen waren groß und sehr dunkel, die Nase spitz und ein wenig gebogen. Das Kind in seinen Armen – es war ein Junge – trug einen nagelneuen roten Anzug mit Goldstickerei. Es fiel auf, auch wenn es sich im Arm seines Vaters verbergen wollte. Sein Haar war dick und borstig, sein Gesicht war weichlich und hell, aber seine schmalen Augen, die die Leute um ihn aufmerksam beobachteten, sahen viel zu alt aus.
Das waren keine Kinderaugen ! Und diese Ohren! So groß, so dick! So eng es sich in die Arme des Bärtigen schmiegte, es wäre unmöglich gewesen, es zu übersehen.
Der Bug der Fähre wendete sich stromaufwärts, als sie sich dem Ufer näherte. Die Fähre erreichte das seichte Wasser vor der Anlegestelle, und die wartenden Fahrgäste rückten, die Augen auf das Boot gerichtet, enger zusammen. Der alte Mann ließ den Skullriemen los, griff nach einer Bambusstange und manövrierte das Boot parallel zum Ufer. Der Bug warf schmutzig rote Wellen auf. Sieben Fahrgäste sprangen an Land, nachdem sie kleine Geldscheine oder glänzende Münzen in den ausgehöhlten Kürbis geworfen hatten, der an der Kabinenwand hing. Der taube alte Mann stand mit der Bambusstange in der Hand da und sah auf den Fluss hinaus, der nach Osten strömte.
Nachdem die ankommenden Fahrgäste an Land gegangen waren, gingen die Wartenden eilig an Bord. Eigentlich hätte Jin Yuanbao als Erster einsteigen müssen, aber er blieb einen Augenblick stehen und ließ den bärtigen Mann vor. Dann folgte die Frau mittleren Alters mit ihrem Kind. Hinter ihr stieg das alte Paar ein. Der Junge mit der Schuppenflechte half ihnen: Erst half er der alten Frau ins Boot, dann dem alten Mann, dann sprang er munter selbst an Bord.
Jin Yuanbao saß direkt dem bärtigen Mann gegenüber. Die tiefen dunklen Augen des Mannes und der bösartige Blick des Jungen in Rot, den er im Arm hielt, flößten Yuanbao Furcht ein. Das war kein Kind. Das war ganz klar ein kleiner Dämon. Sein durchdringender Blick brachte Jin Yuanbao so durcheinander, dass er nicht mehr still sitzen konnte. Er hampelte so sehr herum, dass das Boot anfing zu schwanken. Der alte Fährmann mochte taub sein, aber stumm war er nicht. Jedenfalls schrie er Jin Yuanbao an:
«Du da! Sitz gefälligst still!»
Um den Blicken des kleinen Dämons auszuweichen, drehte sich Jin Yuanbao um und sah auf das Wasser, auf die Sonne, auf eine einsame graue Möwe, die über dem Fluss schwebte. Aber seine Unruhe verging nicht. Kälteschauer zogen über seinen Körper. Er konnte nur stur auf den Rücken des Fährmanns starren, der sie über den Fluss stakte. Der alte Mann hatte einen krummen Rücken, aber er war muskulös. Die Jahre auf dem Wasser hatten seiner Haut die Farbe polierter Bronze verliehen. Der Anblick seines kräftigen Körpers wirkte beruhigend und belebend auf Jin Yuanbao. Er wollte den Blick nicht mehr von ihm wenden. Der alte Mann arbeitete in gleichmäßigem Rhythmus und bewegte den paddelförmigen Skullriemen im Heck ruhig und glatt. Das Kielwasser schäumte hinter dem Boot wie ein langer brauner Fisch, der sie verfolgte. Das Quietschen und Ächzen des Taus, mit dem der Skullriemen befestigt war, der Schlag der Wellen gegen den Bug und der schwere Atem des alten Mannes verschmolzen zu einer langsamen beruhigenden Melodie. Aber Jin Yuanbao konnte keine Ruhe finden. Xiaobao fing an zu weinen und presste den Kopf ängstlich gegen den Brustkorb seines Vaters. Er blickte auf und sah direkt in die Augen des kleinen Dämons, der ihn mit einem Blick wie Nadelstiche durchbohrte. Jin Yuanbaos Herz zog sich in Krämpfen zusammen, seine Haare sträubten sich. Er wandte sich von dem schreckerregenden Blick ab und hielt seinen Sohn fest im Arm. Kalter Schweiß durchnässte seine Kleider.
Endlich waren sie am anderen Ufer. Sobald die Fähre vertäut war, zog Yuanbao einen schweißgetränkten Geldschein aus der Tasche und steckte ihn in den Kürbis des tauben alten Mannes. Dann sprang er aus dem Boot auf den feuchten Sand des Flussufers. Ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen, rannte er mit seinem Sohn im Arm über den Ufersand. Er kletterte über die Uferhecke, fand die Straße zur Stadt und eilte schnell wie ein Meteor mit gleichmäßig stampfendem Schritt davon. Er hatte es eilig, in die Stadt zu kommen, und noch eiliger, eine möglichst große Entfernung zwischen sich und den
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