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Die Schnapsstadt

Die Schnapsstadt

Titel: Die Schnapsstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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harmonische Atmosphäre. Yuanbao trat ein paar Schritte zurück, um dem Furcht erregenden Blick des kleinen Dämons zu entkommen. Er ging dabei kein Risiko ein, denn der Raum zwischen den Gittern bot immer nur einem mit einem Kind beladenen Erwachsenen auf einmal Platz. Niemand konnte sich von hinten an ihm vorbeidrängeln. Das Rauschen des Wassers im Springbrunnen erklang stärker und schwächer und schien erlöschen zu wollen und erlosch doch niemals ganz. In den Bäumen zwitscherten die Vögel.
    Nachdem eine Frau den Raum mit leeren Händen verlassen hatte, ging der Bärtige mit dem kleinen Dämon hinein, um seine Ware vorzustellen. Jin Yuanbao stand, Xiaobao im Arm, gut drei Meter weiter hinten und konnte nicht hören, was gesagt wurde. Trotz seiner Angst beobachtete er die Ereignisse genau. Ein Mann in weißer Uniform, dessen Kochmütze eine rote Borte schmückte, nahm dem Bärtigen den kleinen Dämon ab. Der unbewegte Gesichtsausdruck, den der kleine Dämon sonst an den Tag legte, war einem Lächeln gewichen, das Yuanbao in Furcht und Schrecken versetzte. Der Angestellte allerdings, den das Lächeln freundlich stimmen sollte, schien unbeeindruckt. Er zog dem kleinen Dämon die Kleider aus und stocherte mit einem Glasstab an seiner Brust herum. Der kleine Dämon kicherte. Kurz danach hörte Yuanbao, wie der Bärtige den Aufkäufer anbrüllte:
    «Zweitklassig? Willst du mich übers Ohr hauen, verdammt nochmal?»
    Mit leicht erhobener Stimme antwortete der Einkäufer: «Ich kenne mich aus, mein Freund, und von Qualität verstehe ich etwas. Zugegeben: Dein Junge da hat sein Gewicht. Aber seine Haut ist ledrig, und das Fleisch ist zäh. Ohne sein süßes Lächeln wäre er allenfalls Klasse drei.»
    Ärgerlich vor sich hin grummelnd, griff der Bärtige nach den Banknoten, die ihm angeboten wurden. Er zählte sie rasch, steckte sie in die Tasche und verließ mit gesenktem Kopf den Raum. Jin Yuanbao hörte, wie der Kleine, der jetzt ein Etikett mit dem Aufdruck Handelsklasse 2 trug, dem Bärtigen hinterherrief:
    «Fick doch deine Mutter, du verdammter Mörder! Hoffentlich überfährt dich ein Lastwagen, sobald du vor die Tür trittst. Geh zum Teufel, Hundeficker!»
    Die Stimme war schrill und heiser, und niemand auf der Welt hätte sie für die Stimme eines kleinen Kindes halten können, das noch nicht mal einen Meter groß war. Jin Yuanbao blickte in ein Gesicht, das noch vor einer Minute gelächelt hatte und ihn jetzt mit wutzerfurchter Stirn anstarrte. Der Kleine sah aus wie ein winziger Metzger. Die fünf Angestellten der Akademie sprangen mit entsetztem Gesicht auf. Einen Moment lang wussten sie nicht, was sie tun sollten. Die Hände in die Hüfte gestemmt, spuckte der kleine Dämon sie aus vollem Munde an. Dann stolzierte er zu dem Häuflein zusammengekauerter Kinder hinüber, die mit Etiketten um den Hals dasaßen.
    Die fünf Angestellten blieben einen Augenblick wie erstarrt stehen und warfen sich Blicke zu, als müssten sie einander beruhigen: Na und? Und wennschon? Es ist ja nichts passiert.
    Dann gingen sie wieder an die Arbeit. Ein Mann mittleren Alters mit rauem Gesicht und Kochmütze, der hinter einem Schreibtisch saß, winkte Jin Yuanbao freundlich zu. Der eilte zu ihm hinüber. Sein Herz schlug bis zum Hals. Xiaobao fing wieder an zu weinen, und sein Vater bemühte sich, ihn zu beruhigen. Er erinnerte sich, was das letzte Mal geschehen war: Damals war er zu spät gekommen, und die Quote war schon erfüllt gewesen. Vielleicht wäre er mit Hängen und Bangen noch hineingekommen, aber Xiaobao hatte so laut geschrien, dass er beinah verrückt wurde. Gleich würde sich das alles wiederholen.
    «Braves Kind», sagte er in beschwörendem Tonfall, «nicht weinen! Die Leute mögen keine Kinder, die die ganze Zeit weinen.»
    Der Angestellte fragte mit gedämpfter Stimme:
    «Ist dieses Kind extra für die Abteilung für Sondereinkäufe zur Welt gekommen?»
    Jin Yuanbaos Kehle war so trocken, dass sein Ja gequält und unecht klang.
    «Demgemäß ist er keine Person, oder?», fuhr der Angestellte fort.
    «Richtig. Er ist keine Person.»
    «Was du verkaufen willst, ist also ein spezielles Produkt und nicht ein Kind, richtig?»
    «Richtig.»
    «Du übergibst uns die Ware, und wir bezahlen dich. Du verkaufst freiwillig, wir kaufen freiwillig, ein sauberes Geschäft. Wenn die Ware einmal übergeben ist, gibt es keine Mängelrügen mehr, richtig?»
    «Richtig.»
    «In Ordnung. Deinen Fingerabdruck, bitte.» Der

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