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Die Schockwelle: Thriller (German Edition)

Die Schockwelle: Thriller (German Edition)

Titel: Die Schockwelle: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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gewesen war. Maxim, Leos Patenonkel, war ausgebildeter Schauspieler, fuhr aber auch Taxi, erledigte kleine Reparaturarbeiten und half in Lokalen aus, um seine Familie zu ernähren. Meist sprühte er vor Energie, doch in letzter Zeit war er besorgniserregend oft sehr niedergeschlagen.
    Rikus Blick fiel auf ein Foto an der Wand. Es zeigte ihn und seinen Vater vor einem primitiven ostdeutschen Robotron-Computer. Der Vater hatte die Ärmel seines weißen Hemdes aufgekrempelt, seine Brille war ein großformatiges Achtzigerjahremodell, die schon etwas lichten Haare hatte er mithilfe von Haarwasser nach hinten gekämmt.
    Ralf Tanner war 1989 in Moskau, wo er lange gearbeitethatte, spurlos verschwunden. Als Ingenieur war er in der Wirtschaft tätig gewesen und auf dem damals sensiblen Terrain des Ost-West-Handels auch einigermaßen erfolgreich. Das Terrain war so sensibel gewesen, dass der Verdacht bestand, Ralf Tanner sei im Zusammenhang mit einem dubiosen Geschäft ermordet worden. In den Zeiten des von Reagan verhängten Exportverbots gab es mehr als genug Geschäfte dieser Art, bei denen heimlich Technologieprodukte in die Sowjetunion geschleust wurden. Ralf Tanners Leiche wurde jedoch nie gefunden, und Riku hatte lange in der Hoffnung gelebt, sein Vater hätte die Sowjetunion bloß für immer verlassen müssen. Da man jedoch nie wieder etwas von ihm hörte, wurde er schließlich für tot erklärt.
    Riku warf einen Blick auf den Karton, in dem er Papiere und einige persönliche Gegenstände seines Vaters aufbewahrte. Der Einbrecher hatte im Frühling auch diese Sachen durchwühlt, und das ärgerte Riku über alle Maßen.
    Er ging in die Küche, an deren Einrichtung er nach Katjas Auszug nichts verändert hatte: ein Tisch vom Recycling-Zentrum, Flickenteppiche und orange Plastikstühle aus den Siebzigerjahren. Katja hatte alles Gemütliche und Praktische gemocht. Riku musste oft an ihre erste Begegnung denken, als er die junge Frau mit einer Broschüre in der Hand in der Eremitage gesehen hatte. Wegen ihrer Gesichtszüge, der Form der Augenbrauen und den streng nach hinten gekämmten dunklen Haaren hatte er die schöne Frau erst für eine Italienierin gehalten, aber als er sich vor den Sonnenblumen von Matisse neben sie schlich und scheinbar beiläufig ein Gespräch begann, erfuhr er, dass sie aus Moskau kam, wohin ihre Eltern einst aus einem Ort bei Odessa gezogen waren. Aus dieser Begegnung wurde eine Beziehung und schließlich eine Ehe – welche sich allerdings als Fehler erwiesen hatte.
    Jetzt wohnte Katja in einem modernen Haus in Espoo, wo alles »neu und funktionell« war. Wie konnte ein Mensch sichnur so vollkommen verändern? Im Nachhinein betrachtet, hätte er allerdings schon kurz nach der Heirat erste Anzeichen erkennen können. Ständig hatte sie Riku gebeten, in einen lukrativeren Beruf zu wechseln oder sich wenigstens um eine Beförderung zu bemühen – als wäre das auch in Finnland einfach so möglich. Wasser auf ihre Mühlen war die Behauptung von Rikus Mutter, mit seinem Abitur hätte er überall arbeiten können, er aber hatte sich zur Überraschung seiner Mutter und manch anderer für die Polizeischule entschieden. Riku begriff bald, dass er sich bei Katja in die Vorstellung von einer Frau verliebt hatte, die nicht der Wirklichkeit entsprach.
    Am schlimmsten waren jedoch Katjas zunehmender Alkoholkonsum gewesen und ihr Verhalten als Mutter. Riku konnte die Kopfnüsse und die Schläge auf die Finger, die sie Leo verpasste, ebenso wenig ertragen wie ihre vielen anderen unschönen Erziehungsmethoden.
    Als Katja dann im Helsinkier Nachtleben Hans Nyman kennenlernte, war ihre Ehe längst unerträglich geworden. Bei der Scheidung hatte Riku das alleinige Sorgerecht für Leo verlangt, denn er hielt den Gedanken an einen Stiefvater nicht aus und wollte nicht, dass der Junge ständig der harten Erziehung seiner Mutter ausgesetzt wurde. Katja hingegen hatte ihre in Moskau lebende Mutter zu sich geholt, und Tamara – die ehemals so warmherzige und großzügige Universitätslektorin für Englisch – hatte damit gedroht, den russischen Kinderbeauftragten einzuschalten, wenn Riku seine Sorgerechtsforderung nicht aufgeben würde.
    Riku wollte nicht mehr an die Scheidung und all die Umstände, die damit zusammenhingen, denken. Sie hatten keinen Ehevertrag gehabt, und Katja hatte wie ihre Mutter den Verkauf des Hauses für eine Selbstverständlichkeit gehalten. Riku dagegen hatte daran nicht einmal denken wollen,

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