Die Schockwelle: Thriller (German Edition)
zuvor in seinem Leben. Vielleicht wäre es klüger gewesen, Didier zu bitten mitzukommen. Andererseits wollte er dem Kollegen keinen Anlass bieten, seinen Anteil in die Höhe zu schrauben, denn Henryk brauchte selbst jeden Euro.
Der Renault hielt unmittelbar vor ihm. Henryk wusste, dass es jetzt kein Zurück mehr gab. Entschlossen stieg er aus dem Wagen und ging bedächtig auf den Lieferwagen zu.
Die Türen des Renault wurden geöffnet, und zwei Männer stiegen aus. Der Fahrer, in Lederjacke und Jeans, hatte einen abweisenden Blick, ein zerfurchtes Gesicht und nach hinten gekämmte, halblange Haare. Der andere Mann war älter, er trug schwarzes kurzes Haar, einen gepflegten Schnurrbart und einen schwarzen Rollkragenpullover unter dem Parka. Beide machten einen misstrauischen Eindruck.
»Peter Richter«, sagte der mit dem Schnurrbart und gab Henryk die Hand. »Didier hat wahrscheinlich schon alles über mich erzählt.« Ein eisiges Lächeln zuckte in seinen Mundwinkeln auf. »Ist er schon weg?«
»Heute Morgen.« Zu seinem Verdruss musste Henryk feststellen, dass er nicht besonders selbstsicher klang.
Der Deutsche zog einen dicken Briefumschlag aus der Innentasche des Parkas, in dem sauber gebündelte Fünfhunderteuroscheine lagen.
»Die zweite Rate«, sagte der Mann.
Henryk nahm den Umschlag.
»Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser«, meinte er, nun schon etwas selbstsicherer, und zählte das Geld. Er musste den Männern von Anfang an klarmachen, dass er kein Duckmäuser wie Didier war.
Nachdem Henryk die Scheine gezählt hatte, öffnete Richter die Kiste, die der Fahrer aus dem Renault genommen hatte.
»Da drin ist ein Gerät, mit dem das Automationssystem und dessen Funktionsweise im Störfall per Funk registriert werden.«
Richter zog einen kleinen, kegelförmigen Gegenstand aus der Tasche.
»Die Störsignale dieses Senders lösen das Fehler-Alarmsystem aus. Das Ganze dauert etwa eine Stunde. In der Zeit haben die Impulsgeber dieses Kastens hier die verschiedenen Phasen des Prozesses registriert.«
Henryk nickte. Er wusste, wie zentral das Automationssystem für das Kraftwerk war, und er war sich über dessen finanziellen Wert im Klaren.
Der Mann mit der Lederjacke lud den Kasten in den Kofferraum von Henryks Wagen, wo bereits die Tasche mit dem Werkzeug für den Test stand. Dabei erklärte er ihm die Einzelheiten.
Beim Losfahren dachte Henryk an das Haus am Rand von Gdynia, das er Saara auf der Homepage eines Immobilienmaklersgezeigt hatte. Zuerst war sie skeptisch gewesen, aber schließlich hatte sie eingewilligt, mit nach Polen zu kommen, wenn Henryk es ernst meinte und in der Lage sein würde, seine Versprechen einzulösen.
Nach einigen Kilometern konnte er bereits die Lichter des Atomkraftwerks Olkiluoto erkennen. Die Aufgabe, die ihm am nächsten Tag bevorstehen würde, beunruhigte Henryk weniger, als er befürchtet hatte.
28
In Sebastians Altbauwohnung in Berlin-Charlottenburg öffnete Elina das hohe schmale Fenster zum Hinterhof hinaus, in dem zwei Linden standen. Darüber hing der graue Morgenhimmel, der ihrer Meinung nach gut zu dieser Millionenstadt passte, die von Erinnerungen an das Kaiserreich, an die Nazizeit und an den Kalten Krieg geprägt war. Elina war als Gymnasiastin einmal auf einer Interrailtour in Berlin gewesen, und schon damals hatte sie die einzigartige Atmosphäre der Stadt beeindruckt.
Sebastian hatte gesagt, er müsse kurz ins Büro und würde auf dem Rückweg im Laden an der Ecke etwas fürs Frühstück besorgen. Seine Wohnung war hervorragend gelegen, in unmittelbarer Nähe zum Savignyplatz, aber als besonders hell konnte man sie nicht bezeichnen. Sie bestand aus einem geräumigen Schlafzimmer, einem noch geräumigeren Wohnzimmer, einem Arbeitszimmer und einer nahezu antik wirkenden Küche. In den wenigen Monaten ihrer Beziehung war Elina bereits zweimal hier gewesen.
Gleich nach dem Aufwachen hatte sie ihren Vater in der Klinik angerufen. Er hatte munter geklungen, und sie war gleich guter Laune gewesen. Summend ging sie in Sebastians Arbeitszimmer, wo neben der Tür ein neues Fahrrad lehnte. An den Wänden hingen Fotos von unterschiedlichen Gegenden der Welt, auf dem Tisch standen zwei Computer, und in den Regalfächern lagen Kameras, Objektive, zwei Stative und sonstiges Fotozubehör. Der Kamerarucksack war so abgenutzt, dass erjeden Moment auseinanderzufallen drohte. In letzter Zeit hatte Sebastian ihn jedoch nicht gebraucht, denn er hatte bei der
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