Die Schockwelle: Thriller (German Edition)
wiederum den Beamten anstarrte.
»Entschuldigung, aber das verstehe ich nicht …«
»Es tut mir sehr leid.«
Sebastian stützte sich am Schalterfenster ab, als würde er Halt suchen. »Was ist passiert?«
»Ihr Vater wurde vor zwei Stunden tot in seiner Zelle aufgefunden.Er hat sich erhängt. Wir wollten uns gerade mit seinen Angehörigen in Verbindung setzen.«
»Erhängt?«
Riku konnte den Blick nicht vom Gesicht des schockierten jungen Mannes wenden. Sebastian, der bis jetzt kühl und fast skrupellos gehandelt hatte, wirkte plötzlich hilflos und unsicher. Riku empfand großes Mitleid mit ihm, weil er wusste, wie es sich anfühlte, wenn man den Vater verlor. Zugleich war er grenzenlos frustriert darüber, nun doch kein Wort mit Claus Berger wechseln zu können.
»Es wird allerdings eine rechtsmedizinische Obduktion vorgenommen werden.«
Sebastian nickte steif. Er hatte vollkommen die Fassung verloren, wandte sich ab und ging ohne ein weiteres Wort zur Tür.
»Warten Sie!«, rief ihm der Pförtner hinterher.
Riku lief zu Sebastian. »Was hast du vor?«
»Mein Vater hat auf keinen Fall Selbstmord begangen.«
Im Licht der jüngsten Ereignisse nahm Riku diese Behauptung ernst.
Elina schaute auf die massive Uhr über dem Haupteingang des Staatsarchivs. Leicht außer Atem stieg sie die breite Treppe des monumentalen Gebäudes hinauf.
Der Bunker des Warschauer Pakts, den sie in der Nacht gesehen hatten, war aus einer anderen Welt gewesen, ein Schatten aus der finsteren Vergangenheit, der an die Zeiten erinnerte, als die Spannungen in Europa mit Händen zu greifen und für alle Seiten lebensgefährlich waren. Und auch wenn sich die politische Lage inzwischen beruhigt hatte, so änderten sich innerhalb von zwanzig Jahren weder die menschliche Natur noch das Handeln der Staatsführer. Nur die Mittel variierten, mit denen man seine Ziele erreichen wollte.
Elinas Schritte hallten in der hohen Eingangshalle wider. Gerade eben hatte sie ihren Vater im Krankenhaus angerufen,es ging ihm zunehmend besser. Die Polizei aus Helsinki hatte nicht bei ihr angerufen, und Elina hatte umgekehrt auch keinen Kontakt aufgenommen – obwohl sie schon gern gewusst hätte, was genau man Riku vorwarf. Jedenfalls fehlte es ihm nicht an Charakter.
Nach der Sicherheitskontrolle stieg sie über dicken roten Teppich die steile Treppe zum zweiten Stock hinauf, wo sich die Abteilung für die ehemalige DDR befand. Hinter Glaswänden standen lange Regalreihen, angefüllt mit millimetergenau ausgerichteten Ordnern. Elina versuchte, die dumpfe Müdigkeit aus den Gliedern zu schütteln. Nach den nächtlichen Ereignissen hatte sie lediglich ein paar Stunden im Auto geschlafen. Sebastians Verhalten erschütterte sie nach wie vor. Riku hatte recht: Sie konnten Sebastian nicht vertrauen. Das war die bittere Wahrheit, und die musste sie akzeptieren. Sie hatte nicht vor, mit dem Mann zusammenzubleiben, in den sie zwar verliebt gewesen war, der sich jedoch innerhalb von zwei Tagen in einen furchterregenden Fremden verwandelt hatte.
Im zweiten Stock saß ein schmaler Angestellter hinter dem Schalter und strahlte Elina erfreut an.
»Elina, guten Morgen! Das ist aber eine Überraschung. Du hast dein Kommen gar nicht angekündigt.«
»Hallo, Friedrich.«
»Steht der Zeitpunkt der Veröffentlichung schon fest?«
»Wir haben vorläufig März vereinbart, aber ich suche noch ein paar zusätzliche Informationen.«
»Was Bestimmtes?«
»Bunker in Ostdeutschland.«
Friedrich hob die Augenbrauen. »Keine einfache Materie. Die Bunker sind eine ziemliche Herausforderung. Ich habe schon wer weiß wie vielen Wissenschaftlern Dokumente, Karten, Zeichnungen und anderes ausgehändigt. Sollte eine finnische Historikerin das Rätsel der Bunker lösen, wäre das eine große Nachricht in Deutschland.«
»Ich interessiere mich vor allem für einen bestimmten Bunker.«
Sie zog eine Landkarte aus der Tasche, breitete sie auf dem Tisch aus und zeigte Friedrich die genaue Lage des Bunkers. »Hier. Etwas östlich von Beeskow.«
Friedrich schüttelte den Kopf. »Hoffnungslos. Über einzelne Bunker gibt es so gut wie nichts. Die Sowjettruppen haben alles, was es an Material und Dokumenten gab, mitgenommen. Die Wahrheit steckt in Moskau in unzugänglichen Archiven. Ein paar allgemeine Informationen findet man in Dokumenten der Volksarmee.«
»Das habe ich gehört. Aber versuchen wir es trotzdem …«
Elinas Handy klingelte. Wäre der Anrufer nicht Riku gewesen,
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