Die schöne Ärztin
darunter zum Vorschein kam, war der konsternierte Püttmann, der einfach nicht begriff, daß man 400.000 Fremdarbeiter in den Bergbau holte, wenn man die Pläne zur Schließung einer Reihe von Zechen bereits im Schreibtisch liegen hatte.
Es gab Meldelisten, in die sich die Interessenten an der Tagung eintrugen. Dr. Fritz Sassen und Kurt Holtmann taten dies. Daraufhin wurde Dr. Ludwig Sassen von Dr. Vittingsfeld als ›Ehrengast‹ gebeten, an der Versammlung teilzunehmen. Die Bedenken, die einige Direktoren gegen die Teilnahme Holtmanns erhoben, wischte Dr. Vittingsfeld mit einem hintergründigen Lächeln weg. »Warten wir es ab, meine Herren«, sagte er und seine helle Stimme hatte etwas wie einen Trompetenton. »Ich habe die berechtigte Hoffnung, daß Herr Holtmann zwar in Düsseldorf eintrifft, aber nicht am Verhandlungstisch erscheint.«
Die Direktoren verzichteten auf weitere Fragen. Wenn Vittingsfeld so sicher war, erübrigten sich Bedenken. Woher allerdings diese Sicherheit Vittingsfelds stammte, blieb unerfindlich. Man bereitete sich auf eine Überraschung vor, zumal es die Art Vittingsfelds war, große Knaller immer erst dann loszulassen, wenn alle dachten, sie blieben aus. Auf diese Art hatte er sich auch selbst zum Generaldirektor emporgeschossen, weil niemand in der Lage war, ihm darin zuvorzukommen.
Zimmer in den besten Hotels in Düsseldorf wurden vorbestellt, ein Saal auf den Rheinterrassen gemietet. Für den Abend war ein Opernbesuch geplant. Es wurde ›Rigoletto‹ gespielt, sehr beziehungsreich, denn in dieser Oper ist der Geprellte der kleine, arme, verkrüppelte Hofnarr.
Die Reise nach Düsseldorf versetzte die Familie Holtmann noch einmal in Aufregung. Bisher waren Sohn Kurt und Vater Hans Holtmann erst einmal in dieser Stadt gewesen, Kurt Holtmann anläßlich eines Fußballspiels und Hans Holtmann anläßlich einer Brieftaubenausstellung, auf der seine Taube Julia II nur den 3. Platz belegte, weil ihr Schnabel nicht genau auf Biß zusammenkam. Das hatte ihn maßlos geärgert, er hatte die Richter Dösköppe genannt und sich darauf versteift, das hier sei eine Taubenausstellung und kein Dentistenkongreß. Man hatte Mühe, einen zu finden, der ihm den zuerkannten Preis aushändigte, denn die Preisrichter weigerten sich als Beteiligte, Hans Holtmann die Siegerhand zu drücken.
Elsi Holtmann packte ihrem großen Sohn zwei neue Hemden in den Koffer und verfluchte innerlich Onkel Lorenz, der herumsaß, Wacholder trank und als ›Sprecher von 1.000 Buschhausener Kumpels‹ – wie er sich nannte – noch einmal den ganzen Heckmeck vortrug, den er schon schriftlich eingereicht hatte.
»Und laß dich nicht überfahren, Junge«, gab Onkel Lorenz die letzten Ermahnungen. »Das sind alles studierte Herren, die sprechen dann plötzlich lateinisch, wenn's brenzlig wird, und du stehst da und kennst kein Wort. Aber laß dir das nicht gefallen, hörst du. Hau auf'n Tisch und sage: ›Meine Herren! Im Pütt wird deutsch gesprochen! Und ich will, daß man auch hier deutsch spricht, denn hier geht's ja um'n Pütt!‹«
Kurt Holtmann lächelte nach allen Seiten. In der Brieftasche hatte er eine lange Liste, was er alles aus Düsseldorf mitbringen sollte. Vor allem Barbara hatte ihm eingeschärft, nicht zu vergessen, daß Theo Barnitzki für seinen Kleinwagen Schonbezüge brauchte. »Die Kunstledersitze sind immer so kalt«, sagte Barbara.
»Vor allem nachts, was?« fragte Kurt zurück, was ihm einen strafenden Blick einbrachte, aber auch ein schwesterliches Blinzeln.
Vor der Versammlung hatte Kurt Holtmann keinerlei Scheu. Er war gut vorbereitet und hatte Aussicht, von Dr. Fritz Sassen unterstützt zu werden, der das Wort führen sollte, während Holtmann als Vertreter der Arbeiterschaft die nüchternen Fakten aufzuzählen hatte. Mit dieser Arbeitsteilung hofften sie, alle Angriffe Vittingsfelds abwehren und im Keime ersticken zu können. Wichtiger aber als alle Verhandlungen war, daß auch Sabine Sassen mitfuhr und im gleichen Hotel wie Kurt wohnte, ja sogar auf derselben Etage. Seit Tagen war zwischen ihnen die stille Freude und Erwartung gewesen, und wenn sie an die beiden Nächte in Düsseldorf dachten, wurden ihre Augen glänzend und versprachen einander stumm die Seligkeit.
Mit zwei Wagen der Familie Sassen fuhren sie nach dem Mittagessen weg. Da Kurt Holtmann abgeholt wurde und im dunklen Anzug und mit schwarzem Hut einstieg, hatte die Nachbarschaft wieder allerlei zu reden, vor allem sagte man
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