Die schöne Ärztin
das Geräusch der Krücken hinter sich im Zimmer hörte. Erstaunt wandte sie den Kopf, und dann sprangen Schrecken und Angst in ihre Augen. Sie fuhr aus dem Sessel hoch, rannte ins Zimmer und schloß sofort die Glastür zum Balkon.
»Was soll das?« fragte sie mit belegter Stimme. »Wie kommst du hier herein? Ich dachte, der Arzt –«
»Dr. Barthel rief mich vor einer Stunde an. Er mußte zu einer schweren Geburt. Da ich dem Hause Sassen ja bekannt bin, bat er mich, der gnädigen Frau die Injektionen zu geben. Ausnahmsweise, nur heute.«
»Ich verzichte darauf!« rief Veronika.
»Angst?«
»Wovor?«
»Daß ich statt des Kreislaufmittels etwas anderes injiziere? Etwa Kurare?«
»Ich rufe um Hilfe, wenn du nicht sofort gehst.«
»Apropos gehen. Waltraud Born erzählte mir, daß du in den nächsten Tagen sang- und klanglos für immer gehen willst, entschwinden. Hier sieht es aber nicht nach Aufbruch aus.«
»Was geht das dich an?« Ihre Stimme zitterte. Trotz ihrer Schminke im Gesicht erkannte Pillnitz ihre fahle Blässe. Sie hat Angst, dachte er zufrieden. Sie hat höllische Angst. Sie stirbt fast vor Angst. Das ist gut.
»Das geht uns alle an, meine Liebe. Die Luft in Buschhausen würde reiner, und wir könnten friedlicher leben. Übrigens: Wo ist Cabanazzi?«
»Wie ich höre, geflüchtet«, sagte sie.
»Laß dieses dumme Theater! Wo hast du ihn jetzt versteckt?«
Schon wurde sie wieder frech. Ein spöttischer Zug kräuselte ihre Lippen.
»Unterm Bett. Sieh mal nach.«
»Deine Reifenspuren waren am Gartenhaus.«
»Lächerlich! Die Reifenmarke, die ich fahre, wird von Millionen anderen auch gefahren. Außerdem habe ich gestern die Reifen wechseln lassen. Der Winter kommt, da braucht man gute Profile, nicht wahr? Die alten haben ausgedient.« Sie lächelte und entblößte dabei ihre herrlichen Zähne.
Sie war ein Luder mit Format. Fast spürte er Bewunderung für sie. Unaufhaltsam geriet er wieder in den Bann ihrer Schönheit, das war das Fatale.
Dr. Pillnitz setzte sich auf einen der fellbezogenen Hocker und streckte die Krücken von sich.
»Gut. Lassen wir dieses Thema. Wenden wir uns meinem Unfall zu. Du weißt, wie es dazu gekommen ist.«
Das Lächeln verschwand aus Veronikas Gesicht. Sie wich etwas zurück und lehnte sich an die Wand mit der französischen Seidentapete.
»Ich schreie«, sagte sie gepreßt.
»Warum? Weil ich dich an den Unfall erinnere?«
»Laß mich damit in Frieden!«
»Du bist schuld, daß ich ein Leben lang ein Krüppel sein werde.«
»Wem willst du das erzählen? Beweise das!«
»Wir haben uns im Wagen gestritten. Du warst furchtbar, hast dich von mir losgesagt, hast den Wagen verlassen, hast mir empfohlen: ›Bring dich doch um! Fahr doch an den nächsten Baum!‹ Ich war außer mir und tat es. Dann kam das Schlimmste: du wolltest mich sterben lassen, hast mich in den Trümmern liegen lassen, bewußtlos, am Verbluten –«
»Du wolltest doch sterben!«
Das Teufelsweib lachte. Ich müßte sie töten, dachte Pillnitz. Das hatte ich ja auch vor, als ich hierher kam. Aber ich kann nicht. Ich spüre es, wie ich ihr von Minute zu Minute wieder mehr verfalle. Ich bin ein Waschlappen, ein ganz großer Waschlappen …
»Ich mache dir einen Vorschlag, Vroni«, sagte er mit bittender Stimme. »Einen letzten Vorschlag …, das schwöre ich dir –«
15
Veronika Sassen verzog das schöne Gesicht zu einer mit Spott und deutlicher Verachtung getränkten Grimasse. Er bettelt schon wieder, dachte sie. Warum erniedrigt er sich so? Er weiß doch, daß alles vorbei ist, daß ich nicht mehr das kleine Mädchen von damals bin, das er sich geangelt hatte.
»Was heißt ein letzter Vorschlag?« fragte sie.
Dr. Pillnitz atmete tief durch.
»Das wirst du gleich hören, Vroni! Heute fällt die Entscheidung. Jetzt, in wenigen Augenblicken …«
»Das klingt reichlich dramatisch.«
»Du hast keinen Grund, sarkastisch zu werden. Du verkennst deine Lage anscheinend.«
»Du drohst mir schon wieder?«
»Ich weise dich nur auf Tatsachen hin.«
»Ich kann mir denken, auf welche. Ich will dir deshalb zuvorkommen. Hör zu, außer Ludwig Sassen weiß die ganze Familie, daß ich ein Luder bin. Dafür hat diese saubere Dr. Waltraud Born gesorgt. Du kannst es jetzt Ludwig auch sagen … bitte, geh zu ihm! Er wird einen Herzinfarkt bekommen, keiner weiß das besser als du, der Arzt. Und wenn er tot ist, wird man das Testament öffnen und feststellen, daß ich geerbt habe. Ich garantiere, so wird
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