Die schöne Ärztin
im Raume war. Er schnellte vom Stuhl und warf sich gegen die Bretterwand. Gleichzeitig riß er ein Messer aus dem Gürtel und stieß die Klinge vor. In seinen schwarzen, glühenden Augen glänzte das Fieber und schrie die Angst. Er schwankte unter den wahnsinnigen Schmerzen in seinem Nacken, aber er biß die Zähne zusammen und starrte Waltraud Born an, die zutiefst erschreckt neben dem umgestürzten Stuhl stand und die Arzttasche auf den Tisch gestellt hatte. Noch sah er Veronika nicht, die seitlich von ihm zwischen Tisch und Tür stand.
»Was tun Sie hier?« fragte Cabanazzi und heulte fast bei diesen Worten vor Schmerz. »Woher wissen Sie … Sind Sie allein … dottora … wollen Sie mir helfen? Ich werde verrückt … verrückt …«
»Setzen Sie sich wieder, Cabanazzi.« Waltraud Born zeigte auf den Stuhl. Cabanazzi bemerkte jetzt auch Veronika. Ein dankbares Lächeln glitt über sein verzerrtes Gesicht. Gehorsam ging er zum Tisch zurück, setzte sich und legte das Gesicht wieder auf die Unterarme. Waltraud Born entfernte den Schirm von der alten Petroleumlampe und ließ den Lichtschein voll auf den Nacken fallen.
Furunkel sind eine weitverbreitete Krankheit gerade im Bergbau und in ähnlichen Berufen, die mit viel Schmutz und Staub verbunden sind. Dr. Born hatte deshalb schon viele Furunkel behandelt, teils mit Ichthyol, das die Kumpels nur ›Schwarze Salbe‹ nannten, teils auch mit dem Skalpell, wenn das Geschwür so reif war, daß man es aufschneiden konnte. Meistens platzte es nach der Behandlung mit der ›Schwarzen Salbe‹ von selbst auf, der Eiter floß ab, mit einer spitzen Pinzette brauchte nur noch der Pfropfen herausgehoben zu werden, und dann verheilte die Wunde und hinterließ im schlimmsten Fall eine Narbe, die zu sehen war.
Der Furunkel Cabanazzis war ein Mustergeschwür, wie man es sonst nur in medizinischen Lehrbüchern findet. Es hatte fast den gesamten Nacken ergriffen, war dick und prall von Eiter und glühte rot, als brenne es innen. Waltraud Born berührte das Geschwür ganz vorsichtig mit der Fingerkuppe, und Cabanazzi knirschte wieder mit den Zähnen. Seine Schmerzen mußten wirklich unmenschliche sein. Daß er sie bisher ertragen hatte, war fast rätselhaft.
»Wie lange hat er den Furunkel schon?« fragte Waltraud Born. Veronika trat neben sie und hielt die Lampe näher an den Kopf Cabanazzis.
»Vielleicht eine Woche.«
»Schon in der Hütte am Steinbruch?«
»Da fing es an. Er hatte sich bei dem großen Unglück unter Tage verletzt. Nur ein Kratzer im Nacken. Er achtete nicht darauf. Dann eiterte es, wurde dick und dicker. Ich konnte doch keinen rufen. Ich habe erst mit Alkohol gekühlt, dann habe ich Salbe darauf gestrichen. Es wurde nur immer schlimmer. Luigi ist fast wahnsinnig geworden.«
Waltraud Born begann, ihre Arzttasche auszupacken. Sie legte auf ein auseinandergerolltes steriles Tuch einige chirurgische Instrumente: Skalpell, scharfe Löffel, Pinzetten, Tampons, Tupfer, Klemmen, Scheren. Dann holte sie eine kleine, braune Flasche heraus, einige Spritzen in einem verchromten Kasten und ein Etui voller Injektionsnadeln. Auch eine Eiterschale packte sie aus und hielt sie Veronika hin.
»Halt fest!«
»Was soll ich damit?«
»Unter das Geschwür halten und den Eiter auffangen.«
»Ich? Nein!« Veronika stellte die Schale auf den Tisch zurück, als sei sie glühend heiß und verbrenne ihr die Finger. »Ich kann kein Blut sehen. Und Eiter … er … er riecht doch.«
»Nein! Er stinkt!« Waltraud Born lächelte grausam. »Da hört die Liebe auf, nicht wahr! Ein Körper ist für dich nur ästhetisch, solange er gesund ist, wie?«
»Hör auf!« stieß Veronika hervor. »Ich falle um, wenn ich das halten soll.«
»Dann fall! Aber das wollen wir erst sehen! Also los!« Waltrauds Stimme war plötzlich hart, laut und kalt geworden und duldete keinen Widerspruch. Cabanazzi stöhnte wieder, seine Fingernägel kratzten die Tischplatte.
»Dottora!« wimmerte er wie ein Kind. »Helfen Sie … machen Sie schnell … dottora.«
Mit widerstrebenden Händen nahm Veronika die Eiterschale und hielt sie an den Nacken Luigis. Sie sah, wie Waltraud die Umgebung des Furunkels abtastete und überall nur geschwollenes und entzündetes Gewebe vorfand. Es war unmöglich, die Nackenpartie durch eine Lokalanästhesie zu betäuben. Resigniert schob Waltraud den Spritzenkasten von sich fort.
»Was ist?« Veronikas Stimme sank zu einem heiseren Flüstern herab. »Mein Gott, was ist
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