Die schöne Ärztin
denn?«
»Cabanazzi gehörte in eine chirurgische Klinik«, sagte Waltraud und steckte den blinkenden Spritzenkasten in die Arzttasche zurück.
»Aber das geht doch nicht!« rief Veronika. »Du weißt so gut wie ich, daß Luigi nicht an die Öffentlichkeit darf.«
»Ich will es dir ganz nüchtern erläutern. Kein Arzt schneidet gern in eine Entzündung hinein. Warum, das würde zu weit führen, dir das zu erklären. Es kann eine Sepsis entstehen, das ist eine Sache, die auch du verstehst. Hier haben wir nun keine andere Wahl mehr, als das Geschwür aus dem entzündeten Muskelgewebe herauszutrennen. Das ist aber nur mit einer Vollnarkose möglich und zweitens nur unter Beachtung größter Steriliät. Beides ist hier in diesem Stall unmöglich. Cabanazzi muß in einen OP, wo man den Furunkel fachgerecht ausräumen kann, ohne die Gefahr, daß Komplikationen entstehen.«
»Aber das geht doch nicht!« schrie Veronika und warf die Eiterschale auf den Tisch. »Du bist doch chirurgisch ausgebildet. Wozu hast du denn studiert und besitzt deinen Doktortitel? Wenn man auf hoher See Blinddärme herausnehmen kann, wenn man im Krieg in einem Unterstand amputierte, wenn man – wie ich gelesen habe – mit einem Taschenmesser operieren kann … warum kannst du das dann hier nicht?«
»Ich kann es, natürlich. Aber was ist, wenn er eine Sepsis bekommt? Wenn im Krieg, um dabei zu bleiben, der Amputierte starb, dann war er eben ein Gefallener fürs Vaterland. Hier aber mache ich mich zumindest fahrlässiger Tötung schuldig, begangen von mir, einer Ärztin. Glaubst du, ich will deinetwegen mein Gewissen damit belasten? Glaubst du, ich setze meine Approbation aufs Spiel, um einen deiner Geliebten zu retten?«
»Er heißt jetzt nicht mehr Cabanazzi … er hat überhaupt keinen Namen mehr. Er ist ein Kranker, der nach einem Arzt fleht, und du mußt helfen!« schrie Veronika Sassen.
»Das tue ich, indem ich ihn dorthin überweise, wo er wirklich gerettet werden kann … in eine chirurgische Klinik. Alles andere ist sträflich.«
»Du wirst operieren!« Ganz kalt und beherrscht klang plötzlich die Stimme Veronikas. Sie war an die Tür getreten, und zur sprachlosen Verwunderung Waltraud Borns hielt sie einen kleinen, dunklen Gegenstand in der Hand, der wie eine Pistole aussah.
»Was soll der Quatsch?« fragte Dr. Born nach einigen Augenblicken des Erkennens.
»Operiere!«
»Laß den Blödsinn, Veronika. Geh ins Haus und ruf einen Krankenwagen.«
»Ich meine es ernst. Ich habe die Pistole seit zwei Tagen. Ich brauche sie zu meinem Schutz. Du wirst hier operieren. Treibe mich nicht zu einer Verzweiflungstat. Luigi kann in kein Krankenhaus. Wir können ihn aber auch so nicht hier lassen, mit seinem Furunkel. Er würde wahnsinnig werden, hinauslaufen und schreien, brüllen. Du verstehst, das wäre mein Ende. Eher erschieße ich dich. Das wäre zwar auch mein Ende – aber das deine dazu!«
»Du bist total verrückt!« sagte Waltraud heiser. Sie sah jedoch, daß es Veronika tödlich ernst mit ihrer Drohung war. Ein Mensch, der so in die Enge getrieben war wie sie, verlor den nüchternen Verstand und handelte nur mehr, wie es ihm das augenblickliche Gefühl eingab.
»Die Chancen sind gering, sage ich dir«, versuchte Waltraud noch einmal die zu allem entschlossene Veronika zur Vernunft zu bringen. »Sieh dir doch den Stall hier an!«
»Du operierst!«
Sie standen sich eine Weile stumm gegenüber … die erbarmungslose Frau mit der Pistole an der Tür und die kleine, blonde Ärztin an der Bretterwand des Verschlages. Zwischen ihnen befand sich der wimmernde Mann, mit dem Kopf auf der Tischplatte. Seine Zähne klapperten vor Schmerz und Fieber, in seinen schwarzen Augen glomm der beginnende Irrsinn.
»Wie du willst«, sagte Waltraud schließlich leise. »Komm her, halt die Lampe und hilf mir bei der Narkose!«
Cabanazzi legte sich nach Anweisung bäuchlings auf den Tisch, die Stirn wieder auf seinen Unterarm, so daß zwischen Nase und Tischplatte eine Lücke blieb. Waltraud tränkte einen Watteknäuel mit Äther und schob ihn in die Lücke zwischen Tischplatte und Nase Cabanazzis. Nach wenigen tiefen Atemzügen streckte sich dessen Körper, die Glieder wurden schlaff, statt zu atmen, begann Cabanazzi jetzt zu röcheln und laut zu schnarchen.
»So … so schnell geht das?« fragte Veronika verwundert.
»Ja. Ich habe keine Zeit, nach dem Lehrbuch der Anästhesie zu arbeiten.« Waltraud kontrollierte einige Reflexe. Nichts.
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