Die schöne Ärztin
nicht an!«
»Daß du nicht aufhören kannst, ein Idiot und Spinner zu sein!« Auch Hans Holtmann stand auf. Seine gedrungene Gestalt wirkte jetzt noch breiter. »Was bist du denn? Der Prinzgemahl. Aber gut, das ist deine Sache! Du glaubst, du kannst die Fresse aufreißen. Junge, die lachen dich ja aus, die feinen Herren. Die werden dich ansehen wie einen Verrückten, den man als Kind zu heiß gebadet hat. Denen kannst du stundenlang vorsingen, was der Kumpel unter Tage denkt, sie bekommen ihre Aufsichtsratsgebühren, sie haben ihre Aktiendividende, sie bekommen ihre Aufwandsentschädigungen, haben Dienstwohnungen, die das Werk bezahlt, und die sich als Villen und Landhäuser entpuppen, sie lassen sich ihre Dienstmädchen von der Zeche bezahlen, ihre Diener, ihre Autos, ihre Gärtner, ja sogar das Wassergeld für das Abspritzen der Wagen und das Tütchen Samen für eine Asternrabatte im Garten. Und wer erarbeitet das alles? Wir Hauer und Schlepper unter Tage. Verdammt nochmal, du Narr! Glaubst du, die hören dich auch nur eine Viertelstunde an, ohne dir mit einem mitleidigen Lächeln zu sagen: Bester Herr Holtmann, Sie sehen das ziemlich verzerrt aus einem falschen Blickwinkel. – So ist das, mein Junge!«
»So denkst du dir das, Vater.« Kurt Holtmann ging im Wohnzimmer hin und her. »Aber es ändert sich nichts, wenn alle nur in ihren eigenen vier Wänden meckern und zu feig sind, es laut zu sagen.«
»Revolutionäre hat man im Bergbau immer rausgeworfen. Dein Großvater hat 1912 bis 1914 dreimal den Pütt wechseln müssen, weil er laut sagte, daß die Sicherheitsvorkehrungen ungenügend sind. Dich werden sie einfach kaltstellen, mit einem hohen Gehalt, mit einem klingenden Titel, mit einer Arbeit, die mit keiner Verantwortung verbunden ist und wo du niemandem schaden kannst. Und du wirst zufrieden sein, eine hübsche Frau haben, eine kleine Villa, du wirst einen Bauch bekommen und dir sofort die Finger waschen, wenn du mal einem Kumpel die Hand gegeben hast.«
»Vater!« Kurt Holtmann blieb stehen. »Das ist eine Gemeinheit!«
»Die Wahrheit ist oft gemein, öfter als gut ist, mein Junge.«
Hans Holtmann stopfte sich seine Pfeife. »Ich geh auf'n Boden in'n Schlag. Gehste mit oder sind Tauben jetzt unter deiner Würde?«
»Nein!« Kurt Holtmann wandte sich ab. »Ich gehe jetzt zu Sabine. Tauben sind nicht unter meiner Würde, aber ich habe mit Sabine viel zu besprechen.«
Die Familie Sassen hatte beschlossen, daß Veronika und Oliver in Erholung fuhren. Es gab keine Widerrede, obwohl Veronika einen schwachen Versuch unternahm, sich als nicht erholungsbedürftig hinzustellen. Aber es war nur ein lahmes Theater, in Wahrheit fieberte sie dem Tag entgegen, an dem sie mit Oliver nach Ischia flog. Weg von hier, dachte sie. So schnell als möglich. Bis heute hat Ludwig noch nicht gefragt, und auch Oliver hat nichts erzählt. In sechs Wochen wird alles vergessen sein. Das ist eine lange Zeit, um einem Kind einzureden, was es gesehen haben soll und was nicht. Nach sechs Wochen wird sich alles in meinem Sinne eingerenkt haben.
Dr. Sassen setzte auch noch eine andere Idee gleichzeitig in die Tat um. Den Abschied Veronikas, die kleine Feier wegen der glücklichen Rettung Olivers, die Einführung Kurt Holtmanns in den Kreis, mit dem er später täglich zu tun haben würde, und die Kontaktaufnahme mit einigen noch reservierten Herren der Montan-Union, dies alles brachte er unter einen Hut in Form einer großen Party, zu der er bitten ließ. So konnte er mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen, vor allem erreichen, daß die ersten tastenden Gespräche über eine geplante Schließung der Schachtanlagen 3 und 9 geführt wurden. Sie waren nicht mehr rentabel, brauchten Millioneninvestitionen und belasteten nur die Bilanz der Zeche. Es hatte keinen Sinn, noch mehr Kohle auf Halde zu nehmen. Ein Halten der Preise aber war nur durch Reduzierung der Förderung möglich.
Sabine hatte Kurt nach stundenlangem Bitten dazu überreden können, die Einladung anzunehmen. Die Schicht, die er an diesem Tag fahren sollte, wurde ihm gutgeschrieben.
Schon das war etwas, was ihn aufregte. »Ich will behandelt werden wie jeder andere Püttmann!« rief er. »Wenn ich 'ne private Feierschicht mache, dann wird die abgezogen und im Strafbuch eingetragen. Verdammt noch mal!«
Der zweite Kampf, den Sabine gewann, entschied den Kauf eines Smokings. Sie fuhr mit Kurt nach Gelsenkirchen, suchte das Passende aus, dazu das Hemd, die Schleife, die
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