Die schöne Ballerina (German Edition)
ausgesuchten Antiquitäten, den kostbaren Brokat- und Seidenstoffen hineinzugehören.
Seth näherte sich ihr. Er sog den Duft ihres feinen Parfüms ein.
»Ist Ruth nicht hier?«, fragte Lindsay.
»Nein, im Augenblick nicht.« Er streckte seine Hand aus und strich mit den Fingerspitzen zart über ihre Wange. »Sie ist bei Monika. Es steht dir gut, wenn dein Haar ein wenig zerzaust ist. Ich habe es vorher noch nie so gesehen«, sagte er leise, und seine Finger wanderten von der Wange zum Ansatz ihres vollen Haares.
Lindsay war, als fingen die gefürchteten unsichtbaren Fäden schon wieder an, ein Netz um sie zu weben. Schnell trat sie einen Schritt zurück.
»Als wir uns zum ersten Mal getroffen haben, war es auch zerzaust und, wenn ich mich recht erinnere, außerdem völlig nass und aufgelöst.«
Das Lächeln erschien zuerst in Seths Augen, bevor es sich in seinem Gesicht ausbreitete. »Deine Erinnerung trügt dich nicht.« Er verringerte aufs Neue den Abstand zwischen ihnen und fuhr ihr mit dem Finger langsam über die Kehle. Unwillkürlich erschauerte Lindsay.
»Du reagierst ungewöhnlich stark auf Zärtlichkeiten«, stellte er ruhig fest und sah sie forschend an. »Ist das nur bei mir so oder auch sonst?«
Eine warme Welle durchströmte Lindsays Haut, und der Puls hämmerte dort, wo seine Hand die ihre berührte. Sie schüttelte den Kopf und wandte ihr Gesicht zur Seite. »Die Frage ist unfair.«
»Ich bin kein fairer Mann.«
»Nein«, stimmte Lindsay zu und sah ihn wieder an, »jedenfalls nicht, soweit es deinen Umgang mit Frauen anbetrifft. Aber darüber wollte ich mich nicht mit dir unterhalten. Ich bin gekommen, um mir das Haus anzusehen«, erinnerte sie ihn schnell. »Willst du es mir zeigen?«
Er schien ihre Bemerkung gar nicht zu hören, sondern neigte sich ihr entgegen, als plötzlich ein kleiner, schlanker Mann mit silbergesprenkeltem Bart in der Tür erschien. Der Bart war voll und gut geschnitten und wuchs von den Ohren um den Mund herum bis zum Kinn. Er wirkte besonders eindrucksvoll, weil ansonsten kein einziges Haar auf dem Kopf des Mannes zu sehen war. Er trug einen dunklen Anzug mit Weste, ein weißes gestärktes Hemd und eine dunkle Krawatte. Seine Haltung war perfekt, militärisch korrekt. Lindsay hatte den Eindruck von Kompetenz und Tüchtigkeit.
»Sir.«
Seth drehte sich zu ihm um, und augenblicklich schien die Spannung, die über dem Raum gelegen hatte, zu weichen. Lindsays verkrampfte Muskeln entspannten sich.
»Worth.« Seth nickte und nahm Lindsays Arm. »Lindsay, darf ich dir Worth vorstellen? Worth, das ist Miss Dunne.«
»Wie geht es Ihnen, Miss Dunne?« Die leichte Verbeugung war europäisch, der Akzent britisch.
Lindsay fand ihn sympathisch. »Hallo, Mr Worth.« Ihr Lächeln war spontan und freundlich, als sie ihm ihre Hand entgegenstreckte.
Worth zögerte mit einem kurzen Seitenblick auf Seth, bevor er sie leicht mit den Fingerspitzen berührte.
»Ein Anruf für Sie, Sir«, richtete er dann das Wort an seinen Arbeitgeber. »Von Mr Johnston in New York. Er sagte, es sei äußerst wichtig.«
»Gut, danke. Sagen Sie ihm, ich käme sofort.«
Als Worth aus dem Zimmer ging, zuckte Seth bedauernd die Schulter. »Tut mir leid. Aber es wird nicht lange dauern. Möchtest du inzwischen einen Drink?«
»Nein, vielen Dank.« Lindsay blickte hinter Worth her und dachte: Es ist doch wesentlich leichter, mit Seth zurechtzukommen, wenn er sich mir gegenüber formell benimmt.
Sie trat an das Fenster. »Lass dich nicht aufhalten. Ich warte ganz einfach hier.«
Es dauerte keine zehn Minuten, bis Lindsays Neugier ihr Gefühl für gutes Benehmen besiegte. Dieses Haus hatte sie als Kind in stockdunklen Nächten durchstreift, trotz der Spinnweben und trotz der Angst vor Fledermäusen und Geistern. Jetzt, wo strahlender Sonnenschein die Zimmer erhellte, konnte sie dem Drang, die alte Bekanntschaft zu erneuern, einfach nicht widerstehen.
Sie begann ihre Entdeckungstour in der Halle.
An den Wänden hingen wertvolle alte Gemälde und eine Tapisserie, die ihr den Atem nahm. Das japanische Teeservice auf dem Tisch an der Seite war so dünnwandig, dass sie fürchtete, es könnte schon vom Anschauen zerspringen. In ihrer Verzauberung vergaß sie, dass sie eigentlich nur in der Halle hatte bleiben wollen. Sie stieß eine Tür im Hintergrund auf und stand unversehens in der Küche.
Die Einrichtung zeigte eine seltsame und doch sympathische Mischung aus Zweckmäßigkeit und altmodischem Charme.
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