Die schöne Ballerina (German Edition)
lachte sie leise bei der Vorstellung, was für ein Vergnügen es wäre, daran herunterzurutschen, wie sie es als Kinder getan hatten.
»Du liebst dieses Haus«, stellte Seth fest und blieb auf dem Treppenabsatz stehen. Er war ihr sehr nahe, und sie legte den Kopf in den Nacken, um ihm in die Augen sehen zu können. »Warum liebst du es so?«, fragte er und wartete auf ihre Erklärung.
»Ich glaube, weil es so aussieht, als wäre es für die Ewigkeit gebaut. Und irgendwie hat es mich wohl immer an ein Märchenschloss erinnert. Es ist so alt. Seit Jahrhunderten steht es hier hoch über dem Meer, und viele Generationen haben in ihm gelebt.« Lindsay ging die Galerie entlang, die über der Halle im Erdgeschoss hing. »Glaubst du, Ruth wird es auf die Dauer hier gefallen? Wird sie sich daran gewöhnen können, immer am selben Ort zu leben?«
»Warum fragst du?«
Lindsay zuckte die Schulter. »Ruth interessiert mich halt.«
»Beruflich.«
»Und menschlich«, entgegnete Lindsay ein wenig unwillig über seinen Ton. »Warum bist du so dagegen, dass sie Tänzerin wird?«
Abrupt hielt er am Fuß der Treppe inne und betrachtete Lindsay mit einem seiner prüfenden Blicke. »Ich bin mir nicht sicher, ob du und ich dasselbe meinen, wenn wir vom Tanzen reden.«
»Vielleicht nicht. Aber es kommt doch wohl hauptsächlich darauf an, was Ruth darunter versteht und …«
»Sie ist noch sehr jung«, fiel er ihr ins Wort, bevor sie zu Ende sprechen konnte, »und ich bin für sie verantwortlich.« Er öffnete eine Tür zu ihrer Rechten und ließ sie eintreten.
Das Zimmer war ausgesprochen feminin eingerichtet. Zartblaue Vorhänge bewegten sich im Wind, der durch die offen stehenden Fenster wehte. Die Farbe wiederholte sich im Ton der Übergardinen. Vor dem Kamin aus weiß glasierten Ziegeln stand ein fächerförmiger Funkenschutz aus gehämmertem Kupfer.
Englischer Efeu rankte vom Sims herunter. Der Blumentopf stand auf einem winzigen, reich verzierten Tischchen. An der Wand hingen gerahmte Fotos von Ballett-Stars. Lindsay entdeckte auch das Foto, von dem Seth gesprochen hatte: sie selbst als Julia mit Nick Davidov als Romeo. Sogleich wurden Erinnerungen wach.
»Ich brauche nicht erst zu fragen, wer dieses Zimmer bewohnt«, meinte sie, als ihr Blick auf die rosa Seidenbänder auf dem Schreibtisch fiel. Sie blickte auf, um Seths Gesicht zu studieren.
Er ist ein Mann, der daran gewöhnt ist, alles von seiner eigenen Warte aus zu sehen, dachte sie. Er hätte Ruth ganz einfach in ein Internat stecken und ihr großzügige Schecks schicken können. Ob es ihm schwergefallen ist, diesen Raum für sie zu gestalten? Wie hat er ihre Bedürfnisse erraten?
»Bist du eigentlich von Natur aus großzügig?«, fragte sie neugierig. »Oder nur unter gewissen Umständen?«
Sie sah, wie er die Stirn runzelte. »Du hast ganz sicher ein außergewöhnliches Talent für seltsame Fragen.« Indem er ihren Arm nahm, führte er sie weiter den Flur entlang.
»Und du hast ein besonderes Talent, ihnen auszuweichen.«
»Das hier wird dich ganz besonders interessieren«, ging Seth einer weiteren Diskussion aus dem Wege.
Lindsay wartete, bis er die Tür für sie geöffnet hatte, und trat ein.
»Oh ja!« Sie lief in die Mitte des Zimmers und drehte sich einmal schnell um sich selbst. »Es ist umwerfend!«
Die Fensterbänke der hohen Bogenfenster waren mit burgunderfarbenen Samtpolstern bedeckt, und die gleiche Farbe erschien im Muster des riesigen Perserteppichs. Die Möbel waren alt, schwer, viktorianisch, und sie glänzten matt und kostbar. Nichts hätte besser in diesen hohen, weiten Raum gepasst. Am Fuße des Bettes stand eine alte Truhe, in der früher Bettwäsche untergebracht gewesen war. Es war ein altes Bett mit vier Pfosten, und an jeder Längsseite standen kleine Tische mit alten Kerzenleuchtern.
»Du hast immer genau die richtige Wahl bei der Einrichtung getroffen. Das muss daran liegen, dass du Architekt bist«, meinte Lindsay bewundernd.
Beim Anblick des massiven Kamins aus Naturstein musste Lindsay unwillkürlich an ein loderndes Feuer denken. Sie stellte sich vor, wie in einer langen dunklen Winternacht die Holzscheite krachend brennen würden, bis zum Schluss nur noch das leise Zischen der Glut übrig bliebe. Sie sah sich selbst vor der Feuerstelle liegen, in Seths Armen, ihr Körper warm an seinen geschmiegt. Ein wenig verwirrt von der Klarheit ihrer Vision blickte sie schnell zur Seite und wanderte weiter durch das Zimmer.
Vergiss
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