Die schöne Ballerina (German Edition)
kenne nur noch einen einzigen Mann, der genauso selbstsicher ist, und das ist Nick.«
Bei dem Gedanken an Nick Davidov erhellte sich ihr Gesicht. »Aber Nick hat ein leidenschaftliches Temperament. Eben ein russisches. Er wirft mit Gegenständen um sich, schreit und stöhnt. Doch selbst seine schlechte Laune scheint nach einer bestimmten Choreografie abzulaufen. Seth ist anders. Er schnappt ganz einfach zu und reißt dich in Stücke.«
»Und das gefällt dir so an ihm.«
Lindsay blickte auf und lachte. Zum ersten Mal seit langer Zeit unterhielt sie sich mit ihrer Mutter über etwas, was sie selbst beschäftigte und nicht mit Tanzen zu tun hatte.
»Ja«, stimmte sie zu. »So verrückt es klingt, es ist tatsächlich so. Aber er gehört nicht zu den Männern, die Autorität verlangen, ohne sie zu besitzen – wenn du verstehst, was ich damit sagen will.« Diesmal nippte Lindsay ein wenig vorsichtiger an ihrem Kaffee. »Ruth betet ihn an. Man merkt es, wenn sie ihn ansieht. Sie wirkt übrigens längst nicht mehr so verloren wie früher, und ich bin sicher, dass es auf ihn zurückzuführen ist.«
Lindsays Stimme bekam einen weichen Klang. »Er ist sehr einfühlsam, weißt du, und er kann seine Gefühle unwahrscheinlich gut kontrollieren. Ich glaube, selbst wenn er eine Frau liebt, würde er noch versuchen, nicht zu viel an Gefühl zu investieren … Ich bin jedenfalls wütend auf ihn, weil er so störrisch ist und mich Ruth nicht zu Nick schicken lässt. Ein Jahr Training in New York, und ein Engagement bei einer guten Truppe wäre ihr sicher. Das habe ich ihm letztens auch gesagt, aber …«
»Wem? Nick?«, fragte Mary erstaunt.
Lindsay hätte sich ohrfeigen können. Auf keinen Fall hatte sie Nicks Anruf ihrer Mutter gegenüber erwähnen wollen, um nicht wieder die Rede auf das Thema zu bringen, das dauernd zu Missstimmigkeiten zwischen ihnen führte.
»Wann hast du mit ihm gesprochen, Lindsay?«
»Vor ein paar Tagen. Er rief im Studio an.«
»Warum?« Marys Frage kam ruhig, aber sie ließ sich nicht abweisen.
»Ach, er wollte sich nur erkundigen, wie es mir geht. Und nach dir hat er auch gefragt.« Die Blumen, die Carol vor einigen Tagen mitgebracht hatte, verwelkten in der Vase auf dem Tisch. Lindsay stand auf und trug sie fort. »Er mochte dich schon immer sehr gern.«
Mary beobachtete ihre Tochter, wie sie die verwelkten Blumen in den Mülleimer warf. »Er hat dich gebeten, zurückzukommen.«
Lindsay stellte die leere Vase ins Spülbecken und begann sie abzuwaschen. »Er hat mir erzählt, dass er ein Ballettstück schreibt.«
»Und er will, dass du einen Hauptpart darin übernimmst. Was hast du ihm gesagt?«
Lindsay schüttelte den Kopf. »Oh Mutter, bitte! Lass uns nicht mehr darüber reden. Es bringt doch nichts.«
Einen Augenblick lang hörte man nur das Wasser in den Spülstein laufen. Lindsay hielt ihre Hände unter den warmen Strahl.
»Ich werde wahrscheinlich mit Carol nach Kalifornien fahren.«
Überrascht – nicht nur von der Ankündigung, sondern noch mehr von Marys Ruhe – drehte Lindsay sich um, ohne den Wasserhahn abzudrehen. »Das wäre ja herrlich. Du würdest dem scheußlichen Winter entgehen.«
»Dabei dachte ich nicht nur an den Winter. Es soll für immer sein.«
»Für immer?« Lindsays Gesicht spiegelte ihre Verwirrung wider. Hinter ihr spritzte das Wasser gegen die Vase. Sie langte mit der Hand nach dem Hahn und drehte ihn ab. »Ich glaube, ich habe dich nicht richtig verstanden.«
»Carol hat Verwandte dort.« Mary stand auf, um sich mehr Kaffee einzugießen. Als Lindsay ihr dabei helfen wollte, wies sie sie mit einer protestierenden Handbewegung zurück. »Ein Cousin von ihr hatte in Erfahrung gebracht, dass eine Blumenhandlung zum Verkauf stand. Ein sehr gut gehendes Geschäft in einmaliger Lage. Carol hat es gekauft.«
»Sie hat es gekauft? Aber wann denn? Sie hat mir kein Wort davon erzählt. Andy hat auch nichts davon erwähnt, als ich ihn sah.«
»Sie wollte nicht darüber reden, bis alles unter Dach und Fach war«, erklärte Mary und fuhr fort: »Sie möchte, dass ich ihr Teilhaber werde.«
»Ihr Teilhaber? In Kalifornien?« Lindsay strich sich verwirrt mit der Hand über die Stirn.
»So wie bisher kann es mit uns nicht weitergehen, Lindsay.« Mary hinkte mit ihrem Kaffee an den Tisch zurück. »Gesundheitlich geht es mir so gut, wie es den Umständen entsprechend nur möglich ist. Es besteht kein Grund mehr für dich, mich ständig zu verwöhnen und dir
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