Die schöne Ballerina (German Edition)
nach dem Telefon greifen, doch dann nahm sie die Hand wieder zurück. Hatte sie sich nicht schon genug zum Narren gemacht?
Lindsay stand auf, lehnte ihr Gesicht an die kalte Fensterscheibe und sah einigen Kindern zu, die im Schnee tollten. Das Leben geht weiter, dachte sie, und ich muss irgendwie damit fertig werden. Die Musik aus dem Nebenzimmer erinnerte sie daran, dass sie nur Trost beim Tanz finden würde.
Sie verließ ihr Büro und öffnete leise die Studiotür. Weder Nick noch Ruth bemerkten ihr Kommen. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht befolgte Ruth Nicks Kommandos. Lindsay kannte ihn gut genug, um ihm anzusehen, wie sehr ihm das gefiel, was ihm hier vorgeführt wurde.
Die Musik ging zu Ende, und Ruth ließ ihre Arme sinken. Sie wartete auf neue Instruktionen. Aber Nick stellte den Plattenspieler ab.
Als Davidov sie anlächelte, dachte Ruth: Jetzt kommen sie, die freundlichen Worte, mit denen er mir beibringt, ich sei nur mittelmäßig.
»Mr Davidov …«, wollte sie ihm zuvorkommen.
»Lindsay hatte recht«, unterbrach er sie. »Wenn Sie nach New York kommen, werde ich Sie unterrichten.«
»Sie?« Ruth wusste nicht, ob sie ihren Ohren trauen konnte.
»Ja, ich«, wiederholte Nick amüsiert. »Ich verstehe nämlich ein bisschen was vom Tanzen.«
»Oh, Mr Davidov, ich meinte … ich dachte doch nur …«
Nikolai nahm ihre Hand und drückte sie. »Sie müssen noch viel lernen. Vor allem Spitzentanzen und den pas de deux . Aber was ich gesehen habe, war gut.«
»Also meine beste Schülerin hat dir gefallen.« Lindsay war zu den beiden getreten.
»Hast du etwa daran gezweifelt?«
»Nein.« Sie lächelte Ruth zu. »Aber ich bin sicher, Ruth hat daran gezweifelt. Du kannst einem schon Furcht einjagen, weißt du?«
»Unsinn! Ich benehme mich immer so sanft wie ein Heiliger.«
»Du schwindelst! Wie immer.«
»Schwindeln gehört zu meinem Charme.«
Lindsay fühlte, wie sie sich langsam bei der Unterhaltung entkrampfte. Seine Freundschaft würde ihr helfen, das wusste sie.
»Ich glaube, du könntest jetzt eine Tasse Tee gebrauchen«, sagte sie zu Ruth. »Wenn ich mich recht erinnere, habe ich innerlich gezittert wie Espenlaub, als ich Nick vortanzen musste, und damals war er noch nicht der ›große Davidov‹. Ich meine, er war schon groß, aber die Leute hatten es noch nicht herausgefunden«, fügte sie verschmitzt lächelnd hinzu.
Ruth nahm spontan Lindsays Hand. »Danke«, sagte sie strahlend und fragte Nick: »Möchten Sie auch eine Tasse Tee, Mr Davidov?«
»Gibt es russischen Tee?«
»Ich fürchte, nein«, bedauerte Lindsay.
»Dann vielleicht etwas Wodka?«
»Du hast auf der ganzen Linie Pech, du Armer. Ich war eben auf russischen Besuch nicht vorbereitet.«
»Oh, in Gesellschaft zweier so schöner Damen schmeckt mir auch normaler Tee, was immer das sein mag. Später werden wir zum Dinner ausgehen, und dann werden wir feiern wie in alten Zeiten, Vögelchen.«
Während Nick die Schallplatte wieder forträumte, verließ Ruth den Raum.
»Ein außergewöhnlich reizendes Mädchen«, bemerkte er. »Zu deinem Urteil kann ich dir nur gratulieren.«
»Und du wirst sehen, wie hart sie arbeiten wird. Du wirst ihr ein Engagement geben und …«
Er nahm sie bei der Hand. »Ich brauche dich, Lindsay! Komm, sieh mich an. Dieser Architekt …«
»Nein, nein! Sprich bitte nicht von ihm.«
»Na gut. Dann frage ich dich: Glaubst du, ich würde dich bitten, zu unserer Truppe zurückzukommen und die bedeutendste Rolle in meinem ersten Ballett zu übernehmen, wenn ich nur den geringsten Zweifel an deinem Können hätte?«
Lindsay wollte etwas sagen, aber er fuhr fort: »Bevor du darauf antwortest, denk darüber nach.«
»Ich weiß nicht«, murmelte Lindsay mit gesenktem Kopf. »Ich weiß wirklich nicht, was ich glauben soll, und ich weiß nicht, was ich tun soll.«
»Wir werden später darüber reden. Jetzt musst du dich entspannen, bevor der Unterricht anfängt.«
»Oh Nick, ich bin so froh, dass du hier bist!«
»Gut«, erklärte er und umarmte sie. »Dann darfst du mich heute Abend zum Essen einladen.«
12. K APITEL
Einen Tag nach Weihnachten spazierte Monika durch den Park. Die Luft war kalt, die Äste der Bäume bogen sich unter der Last des Schnees, und der Sonne gelang es nur hin und wieder für einen Augenblick, die dunkle Wolkendecke zu durchdringen.
Der Spielplatz lag verlassen da. Monika wischte den Schnee von einer Schaukel und setzte sich auf das Holzbrett. Sie war deprimiert. Und das
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