Die schöne Betrügerin
flanieren und sich verführerisch in Pose bringen.
Aber Phillipa konnte nicht mit Mr. Cunnington flirten. Auch wenn er sie noch so nervös machte, wie er es heute schon mehrmals getan hatte, durfte sie sich ihre Gefühle nicht anmerken lassen.
Sie war kein Gentleman. Doch um die Wahrheit zu sagen, sie war auch keine Lady. Und sollte je herauskommen, dass sie wie ein Mann gekleidet und unbeaufsichtigt mit einem Mann gelebt hatte – gütiger Himmel, sie hatte ihn fast nackt gesehen –, dann würde man sie als leichtes Mädchen und Hure brandmarken.
Ein kleiner Preis für das Leben ihres Vaters. Sicher, sie hätte schon vor Wochen zur Hure werden können. Eine Frau konnte nicht durch die Straßen in Cheapside laufen und die Avancen der grobschlächtigen, gewöhnlichen Männer überhören, die ihren Weg kreuzten. Man hatte Phillipa Geld, Schnaps und Drogen, ja sogar Schutz angeboten.
Doch es war ein Unterschied, ob man eine Hure genannt wurde oder tatsächlich eine war, oder? Sie hatte ihr Bestes getan, um ihre Ehre und ihre Tugendhaftigkeit zu schützen, doch sie hatte gelogen, und die Situation, in der sie nun lebte, war wahrlich skandalös.
Nun, guter Ruf her oder hin, sie wusste, wer sie war. Sie griff geistesabwesend nach ihrem Zopf, um ihn nachdenklich um die Finger zu wickeln. Aber sie fand ihn natürlich nicht und ließ die Hand sinken. Zumindest hatte sie einmal gewusst, wer sie war…
»Merde«,
murmelte sie den Kohlen zu.
»Merde, merde, merde.«
Sie musste an den Grund denken, weshalb sie hergekommen war. Ihr Vater kannte James Cunnington in gewisser Hinsicht. Wenn sie nur herausfand, in welcher, dann würde sie auch wissen, was sie zu tun hatte.
Ihr Aufgabe war ganz klar, Nachforschungen anzustellen… Doch wo sollte sie anfangen?
Sie dachte über das schöne, aber leblose Haus nach. Mr. Cunnington verbrachte die meiste Zeit im Arbeitszimmer, von Büchern und Akten umgeben. Akten, die ihr möglicherweise sagen würden, was sie wissen musste.
Phillipa stand abrupt auf und ging zur Tür des Schlafzimmers. Ein besserer Zeitpunkt als jetzt würde nicht kommen.
Der Hausherr war bis spät abends aus, Denny hatte sich schon vor Stunden zurückgezogen, und Robbie schlief tief. Die Hand am Türknauf holte Phillipa tief Luft, schluckte und versuchte, das zittrige Gefühl in der Magengegend zu ignorieren. Als sie auf den dunklen Gang trat, musste sie sich einge stehen, dass ein gewisser Teil ihrer Unruhe auf freudige Erregung zurückzuführen war. Nach all den Jahren, die sie abgeschieden mit ihrem Vater verbracht hatte, endlich ein Hauch von Abenteuer.
Als James nach Mitternacht in sein dunkles Haus zurückkehrte, war das Letzte, was er zu sehen erwartet hatte, Phillip, wie er im Arbeitszimmer vor dem Schreibtisch lümmelte, die Hände in die Haare gegraben, die Stirn in Falten gelegt und in etwas vertieft, das vor ihm auf dem Boden lag. »Sie wollten noch ein wenig lesen, Mr. Walters?« James hielt seinen Tonfall mit Bedacht beiläufig. Er war entschlossen, Antworten einzufordern, doch die Sache konnte ja weit unschuldiger sein, als sie aussah.
Phillip setzte sich hastig auf. »Oh! Mr. Cunnington.« Der Junge hastete los und versuchte, so etwas wie Ordnung ins Arbeitszimmer zu bringen.
James ließ den Blick über das wandern, was einst wundersam geordnete Unordnung gewesen war. Jetzt war es echte Unordnung. Überall lagen aufgeschlagene Bücher herum, auf den Teppich waren Papiere verteilt. James bückte sich und hob eines auf. Die Metzgerrechnung vom letzten Monat?
Er hob den Blick und sah Phillip fragend an. Phillip hockte sich auf die Fersen und stammelte nervös: »Ich war auf der Suche nach Schreibpapier.«
James wartete. Phillip schluckte. »Ich… ich hatte so eine Idee… dass ich… eine Fibel für Robbie basteln könnte.« »Gab es denn keine zu kaufen?« James wusste genau, dass welche im Handel waren. Er hatte Stubbs eine besorgt. »Keine… keine mit Sachen drin, die er wiedererkennt.« Phillip feuchtete die Lippen an und war so aufgeregt, dass er James fast Leid tat. »Die, die ich gesehen habe… waren zu… exotisch. Ich dachte, Robbie braucht vielleicht etwas… etwas, das mehr mit Zuhause zu tun hat. Marktplätze, keine Maharadschas.«
James zwinkerte. »Ein Karren, keine Kastell?« Eine brillante Idee. Genau das Richtige für das Stadtkind Robbie. Phillip nickte hastig und war offensichtlich erleichtert. »Nur dass ich keinen Karren zeichnen kann – und eine Katze auch nicht.
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