Die schöne Betrügerin
Ich habe nach etwas gesucht, das ich abzeichnen kann…« Er fuchtelte mit der Hand über das Durcheinander.
»In meinen persönlichen Unterlagen?«
»Nein – ich bitte um Verzeihung, Sir. Ich habe nach einem Stück Papier zum Üben gesucht, aber ich… ich bringe nicht einmal einen geraden Strich zustande.«
»Ich schon.« Die Worte waren raus, bevor James es noch selber bemerkte. »Ich bin zwar nicht Sir Thorogood, aber das Wesentliche bekomme ich hin.«
Phillip sah auf, Verblüffung im schmalen Gesicht. James bemerkte zum ersten Mal, wie grün Phillips Augen waren. Der Bursche würde ein ziemlicher Ladykiller werden, Wenn er einmal ausgewachsen war.
Bis dahin war es zwar noch ein weiter Weg, aber nach ein paar ordentlichen Mahlzeiten sah der Junge schon besser aus. Und hier war er nun, spät in der Nacht und schwer bei der Arbeit, um nach etwas für den unbelehrbaren Robbie zu suchen. Das zeugte von echtem Engagement.
Eine gute Tat, dass er diese beiden Burschen zusammenbracht hatte, entschied James. Der Gedanke legte sich tröstlich auf seine geschundene Seele. Gut gemacht, selbst wenn es nicht viel war, aber vielleicht schmälerte es ja die Summe seiner Sünden.
»Wenn Sie möchten, helfe ich Ihnen«, sagte James.
Phillip stand nervös auf und fing an, Papiere und Bücher zusammenzuraffen. »Glauben Sie, wir finden sechsundzwanzig Sachen?«
»In London? Kein Problem. Pisse für P?« James grinste.« Die Themse ist jedenfalls voll davon.«
Es war ein harmloser Witz, nur ein klein wenig anrüchig. Phillip hatte keinen Grund, ihn so fassungslos anzustarren.
»Ach, kommen Sie, Flip. Seien Sie nicht so eine Mimose. Ein Kerl kann doch ›Pisse‹ sagen, oder etwa nicht?«
»Natürlich kann ein Kerl ›P-Pisse‹ sagen.«
James verdrehte die Augen. Phillip sah aus, als würde er sich den Mund gleich mit Seife auswaschen. James schaute ihm zu, wie er sich bückte, um ein weiteres Buch aufzuheben. Er ging schnell in die Hocke und half ihm, das Durcheinander aufzuräumen.
Phillipa fuhr auf, als James’ Hüfte an ihre stieß. Sie war immer noch zittrig von dem Schock, ihn hier zu sehen. Sie hatte gedacht, er würde viel länger ausbleiben, schließlich schien er ein vermögender Mann zu sein, der mit seiner Zeit nichts Besseres zu tun hatte.
Gott sei Dank war ihr die Lüge von Robbies Fibel eingefallen… und mittlerweile glaubte sie sogar, dass die Fibel für den widerspenstigen Robbie tatsächlich die beste Lösung, war.
Zudem hatte Mr. Cunnington ihr geglaubt. Die Anspannung und die zittrigen Schuldgefühle schlugen sich ihr auf den Magen. Er war sehr vertrauensselig, dieser Mann, der entweder gut oder schlecht war…
Er griff direkt vor ihren Augen nach einem weiteren Buch und legte ihr den Stapel in die Arme. Sein Handrücken streifte ihre Brust und Phillipa ließ den Bücherberg fallen. Wieder waren sie von einem Chaos aus Büchern umgeben. James lachte und schüttelte den Kopf.
»Verdammt, Flip. Wie viele linke Hände haben Sie eigentlich?«
»T-Tut mir Leid.« Phillipa bückte sich und sammelte alles wieder auf. James legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie war schwer und warm. Warm genug, um ihre unangemessene Lust neu zu entfachen.
»Flip, sehen Sie mich an.«
Seine Stimme war sanft. Sie sah ihm in die braunen Augen auf und presste den Bücherstapel an ihre Brust. James drückte ihre Schulter. »Flip, ich weiß, dass Sie nicht ganz der sind, für den Sie sich ausgeben.« Phillipa schien das Herz stillzustehen. Ihre Tarnung war bereits aufgeflogen.
»Ich weiß, dass Sie kein Hauslehrer sind. Ich weiß, dass Sie nicht so alt sind, wie Sie vorgeben. Und ich weiß, dass Sie Hunger gelitten haben, vermutlich eine ganze Zeit lang«, fuhr er mit freundlichem Blick fort.
Er wusste nichts. Ihr Geheimnis war fürs Erste noch sicher. Dann drang die Güte zu ihr durch, die in seinen Worten lag, und sie spürte in ihren Augen die Tränen brennen. Schnell senkte sie den Blick und rückte die Bücher in ihren Armen zurecht.
»Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben, Flip«, sprach James weiter. »Dass Sie gelogen haben, stört mich nicht, denn im wichtigsten Punkt haben Sie die Wahrheit gesagt. Sie
können
Robbie helfen. Vermutlich mehr als jeder andere, der es schon versucht hat. Ich nehme an, Sie haben im Leben einiges durchgemacht. Dinge, die Ihnen helfen werden, zu einem Jungen vorzudringen, der nie die Chance hatte, seine Fähigkeiten wirklich kennen zu lernen.«
Sie hob den Blick und sah ihn
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