Die Schöne des Herrn (German Edition)
wollen, aber jetzt habe ich Lust dazu. Es gefiel mir auch, ihn in Frankreich zu kaufen, das war heimlicher, mehr unter uns. Geliebter, ich habe dem Juwelier in Annemasse gesagt, meine Hochzeit sei auf den 25. August festgesetzt!
Apropos Annemasse, da fällt mir eine Kindheitserinnerung ein. Pardon, ich habe sie Ihnen schon mal an einem Abend erzählt, verzeihen Sie mir. Hier eine andere Erinnerung, aus meiner Jungmädchenzeit. Als ich fünfzehn oder sechzehn war, suchte ich im Wörterbuch nach verbotenen Wörtern, wie zum Beispiel Umarmung, Kuss, Leidenschaft und andere Wörter, die ich nicht sagen kann. Jetzt ist das nicht mehr nötig.
Ich fahre also mit meinem heutigen Tag fort. Zurück in Genf, den Ehering am Finger, habe ich Ihnen einen sehr schönen Schlafrock gekauft, die größte Größe, die sie hatten, und ich habe ihn gleich mitgenommen, um ihn auf meinem Bett ausbreiten zu können. Außerdem habe ich noch zwölf Mozartplatten gekauft und auch gleich mitgenommen, trotz ihres Gewichts. Danach habe ich mich in einer Apotheke gewogen. Entsetzt über meine Gewichtszunahme. Bin ich dicker geworden, ohne es bemerkt zu haben? Aber dann merkte ich, dass ich immer noch die beiden sehr schweren Plattenalben in der Hand hielt. Ich verließ die Apotheke und sang leise vor mich hin: ›O Geliebter mein, auf immer und ewig dein‹. Ziemlich dumm, ich weiß.
Um halb sechs nach Cologny zurückgekehrt, aber vorher den Ring abgenommen, um Fragen zu vermeiden, denn Mariette weiß, dass ich nie einen trage. Hegel gelesen und versucht, ihn zu verstehen. Anschließend habe ich mich mit der schändlichen Lektüre einer Frauenzeitschrift getröstet: Liebesbriefkasten und Horoskop, um zu wissen, wie es mir in dieser Woche ergehen wird, aber natürlich ohne daran zu glauben. Danach habe ich versucht, Ihr Gesicht zu zeichnen. Schreckliches Ergebnis. Dann habe ich mir Ihren Namen im Jahrbuch der internationalen Organisationen angesehen. Und dann, da ich ja mehrere Exemplare Ihres Fotos besitze, habe ich aus einem Ihren Kopf ausgeschnitten und ihn auf eine Postkarte geklebt, die den Apoll des Belvedere darstellt, über den Kopf des Originals. Grauenhaft. Danach habe ich mich gefragt, was ich noch für Sie tun könnte. Stricken? Nein, zu gewöhnlich.
Ich bin hinuntergegangen, um nach den Malerarbeiten im Salon zu sehen. Mariette war da, und ich musste einen ihrer medizinischen Vorträge über mich ergehen lassen. Sie hat mir genüsslich die verschiedenen Krankheiten ihrer Nichten und Cousinen beschrieben. Es bereitet ihr ein finsteres Vergnügen und sie genießt es, über Krankheiten zu reden. Ich wollte, dass sie endlich aufhöre, und sagte ihr, sie solle nicht immer an so traurige Dinge denken. Aber sie war so in Fahrt und hingerissen, dass sie mich gar nicht gehört hat, und fuhr einfach fort, mir diverse Operationen zu beschreiben und alle Innereien ihrer Familie vor mir auszubreiten.
Geliebter, vor ein paar Tagen ist mein Onkel in Genf angekommen, er ist aus Afrika zurückgekehrt, wo er Arzt und Missionar war. Warum er zurückgekommen ist und sofort seine Praxis wiederaufgenommen hat, werde ich Ihnen mündlich erzählen, damit dieser Brief nicht zu lang wird. Aber ich werde ihn Ihnen im Telegrammstil beschreiben, das geht schneller.
Ich habe die Position gewechselt und schreibe jetzt bäuchlings auf dem Boden liegend, was angenehm ist. Ich beginne also. Agrippa Pyrame d’Auble, den ich seit meiner Kindheit Onkel Gri nenne. Sechzig Jahre alt. Groß, hager, kurzgeschnittenes weißes Haar, Walrossbart, treuherzige blaue Augen, Monokel, weil nur auf einem Auge kurzsichtig. Wenn in Verlegenheit, nimmt er ständig das Monokel ab und setzt es wieder auf und bewegt dabei seinen Adamsapfel. Sieht aus wie Don Quijote. Alter schwarzer, ins Grünliche gehender Anzug. Abknöpfbarer Kragen, runde, gestärkte Manschetten. Schlecht gebundene weiße Krawatte. Schwere genagelte Stiefel, um sie nicht neu besohlen lassen zu müssen, was, wie er erklärt, die Sache vereinfacht. Dabei ist er keineswegs geizig, im Gegenteil. Aber er hat wenig Bedürfnisse und kümmert sich überhaupt nicht um seine eigene Person. Trotz des abgetragenen Anzugs und der Nagelstiefel sehr vornehm. Am Tag nach seiner Ankunft habe ich ihn nicht ohne Mühe überredet, sich einen neuen Anzug zu kaufen. Von einem Maßanzug hat er nichts wissen wollen, weil er bis heute einem alten Konfektionsgeschäft mit dem Namen
L’Enfant Prodigue
die Treue hält. Dorthin habe ich ihn
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