Die Schöne des Herrn (German Edition)
besonders wenn ihm etwas peinlich ist, das Englische scheint ihm eine Art Schutz zu bieten. Aber es ist nicht nur Verlegenheit, sondern auch seine Liebe zu England. Ein paar englische Worte zu sagen beruhigt ihn, weil ihn das an die Existenz des geliebten Landes erinnert. Die Aubles waren immer schon anglophil. Zum Beispiel war es bei uns eine Familientradition, die Söhne nach England oder lieber noch nach Schottland zu schicken, wo das religiöse Leben intensiver ist. So verbrachten sie dort ein bis zwei Jahre, kamen manchmal verlobt mit einer jungen Lady zurück und waren stets hellauf begeistert von England und dem englischen Rasen. Diese Anglophilie teilen wir mit allen Genfer Patrizierfamilien, die mehr mit dem Vereinigten Königreich als mit den anderen Schweizer Kantonen verbindet. Übrigens nennt mein Onkel sich nie Schweizer, sondern Genfer. So, jetzt kennen Sie ihn. Bitte lieben Sie ihn.
Heute früh beim Erwachen habe ich in meinem Bett lange an Sie gedacht, zu lange sogar. Hoffentlich verstehen Sie nicht, was das bedeutet. Aber danach habe ich nur noch an Ihre Augen gedacht. Sie sind manchmal ganz abwesend, und das liebe ich. Manchmal kindlich und strahlend, dann liebe ich sie. Manchmal eisig und hart, das ist schrecklich, aber auch das liebe ich. Morgen werde ich mir einen Fahrplan besorgen, um Ihnen am Samstag folgen zu können. Ah, jetzt ist er in Dijon, jetzt in Bourg, jetzt in Bellegarde, wunderbar!
Darling, please do take care of yourself
. Bitte rauchen Sie nicht zu viel. Nicht mehr als zwanzig am Tag! Geliebter, ich verlasse Sie jetzt, weil es zehn Minuten vor neun ist. Ich laufe in den Garten und liebe Sie!
So, jetzt bin ich zurück. Ich habe den Polarstern von neun Minuten vor neun bis zehn Minuten nach neun betrachtet, den Kopf nach hinten geneigt und mit schmerzendem Nacken, gegen ein Schwindelgefühl ankämpfend, und unentwegt in das ferne Flimmern, zum Ort unseres himmlischen Rendezvous, gestarrt und Ihren Blick gesucht. Ich bin schon um zehn vor neun hinausgelaufen und habe zwanzig Minuten lang zum Polarstern hinaufgeschaut, um ganz sicher zu sein, es könnte ja sein, dass Ihre Uhr vor- oder nachgeht, und ich wollte Sie nicht verpassen. Es war übrigens eine gute Idee, denn erst um neun Uhr vier habe ich Ihre Gegenwart gespürt und hatte das Gefühl, dass unsere Blicke sich dort oben begegneten. Danke, Geliebter. Aber stellen Sie bitte Ihre Uhr richtig, sie muss vier Minuten nachgehen.
Die hübschen blauen Perlen, die ich gerade hier in Blütenform aufgenäht habe, stellen ein Vergissmeinnicht dar, dessen Symbolik ich Ihnen nicht zu erklären brauche. Es war nicht leicht, sie aufzunähen, ohne das Papier zu zerreißen, obwohl ich eine sehr dünne Nadel benutzt habe. Seltsam, vor ein paar Wochen kannte ich Sie nicht, und jetzt, da unsere Lippen sich eines Abends vereint haben, sind Sie der einzige Lebende, der Einzige, der für mich zählt. Es ist ein Rätsel.
Gestern Abend stand ich lange vor dem Spiegel, um zu sehen, wie ich Ihnen übermorgen erscheinen werde. Übermorgen werde ich so viel zu tun haben. Ich muss früh aufstehen.
Ich greife wieder zur Feder. Ich war einen Augenblick am Fenster und lauschte der Stille der Nacht im Garten, in dem Glühwürmchen flimmern. In der Ferne, im vornehmen Teil von Cologny, hat eine verliebte Katze vergeblich gefleht, denn ihre Besitzer, die Chapeaurouges, erwarten zur Stillung ihres heißen Verlangens die Rückkehr des sehr anständigen und gepflegten Katers Sarasin, auf den man sich in jeder Beziehung verlassen kann, der aber leider im Augenblick seinen ehelichen Pflichten gegenüber einer Katze der Aubignés nachkommt.
Ich stelle fest, dass ich mit allem, was ich schreibe, nur die Intelligente und Charmante spielen und Ihnen gefallen will. Ich armes Ding, ich tue mir selbst leid. Aber sei’s drum, sei’s drum, wenn Sie mich nur lieben. Haben auch Sie bitte Mitleid mit mir, ich bin Ihnen ja so ausgeliefert. Ich schreibe Ihnen zu viel, ich liebe Sie zu sehr, ich sage es Ihnen zu oft. Und zu allem Übrigen kommt noch diese Zärtlichkeit hinzu, die ich empfinde, wenn Du Dich im Schlaf so zutraulich an mich schmiegst. Dann sage ich Dir in Gedanken
moi dorogoi, moi solotoi
. O mein Liebster, wenn Du wüsstest, wie sehr Du mein Liebster bist! Als ich nichts von Dir hörte und vor Schmerz wahnsinnig war, hatte ich mir einen Termin gesetzt, nach welchem ich mir mit zwei Röhrchen Barbituraten und in der Badewanne aufgeschlitzten Pulsadern das Leben
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