Die Schöne des Herrn (German Edition)
öffnete, fand ich die gleichen kleinen Schokoladentaler!
Liebster, plötzlich erinnere ich mich an die heißen und sonnigen Nachmittage im Garten meiner Tante. Ich war ein mageres zwölfjähriges Mädchen, lag auf der Terrasse und starrte in die heiße flirrende Luft. Die Katze strich behutsam auf ihren vier Daunenpfötchen durch das Gras, und das Wunder geschah. Die mit kleinen Steinen gepflasterte Terrasse wurde zu einer Wüstenebene, auf der sich da und dort furchterregende Felsen erhoben, durch einen Fluch zu Stein gewordene Riesen, und weiter hinten war das Gras der Dschungel, aus dem gerade, sanft und gefährlich, ein kleine Mädchen fressender Tiger trat. Dann wechselte die Szene, und eine kleine Welt erschien vor mir. Unter der Dachrinne segelten mit Gewürzen beladene Karavellen dichtbevölkerten Städten entgegen, die sich in der Nähe des Liegestuhls befanden; und Dutzende niedlicher kleiner Pferde, in Daumengröße, aber sonst sehr wohlproportioniert, galoppierten um die Gießkanne.
Und noch eine andere Erinnerung: Ich war damals vierzehn, und mein Onkel verbrachte seine Ferien in Champel, in der Villa, die er jetzt bewohnt, weil er sie von meiner Tante geerbt hat. Eines Nachts konnte ich nicht einschlafen und hatte großen Hunger, und da ging ich ihn wecken, damit er mir Gesellschaft leistete, und wir schlichen uns ganz leise in die Küche, er im Morgenrock und ich im Pyjama, machten uns heimlich eine kleine Mahlzeit zurecht und unterhielten uns flüsternd, aus Angst vor Tantlérie. Es war herrlich. Aber plötzlich ließ ich einen Teller fallen, was einen entsetzlichen Krach machte. Wir saßen beide wie versteinert da bei dem Gedanken, meine Tante könne uns entdecken. Vor Schreck grub ich mir die Fingernägel ein wenig in die Wangen, und Onkel Gri schaltete unwillkürlich das Licht aus, was uns allerdings nichts genutzt hätte, falls Tantlérie tatsächlich aufgewacht wäre. Ich sehe uns noch, wie wir leise die Scherben des Tellers auflasen, die er dann in sein Zimmer mitnahm und in seinem Koffer versteckte.
Jetzt muss ich Ihnen von seinem Auto erzählen. Es ist 1912 geboren, trinkt dreißig Liter auf hundert Kilometer und ist von unbekannter Marke, denn sein Konstrukteur hat wahrscheinlich nicht den Mut gehabt, sich zu diesem Vehikel zu bekennen, oder aber er hat aus Reue Selbstmord begangen, nachdem er es in die Welt gesetzt hatte. Diese verrückte Karre hat ihre Launen. Manchmal beginnt sie auf der Stelle zu hüpfen, fährt im Zickzack, bleibt stehen, und beginnt erneut zu hüpfen. Er weigert sich, sich von ihr zu trennen und einen neuen Wagen zu kaufen. Aus kindlicher Anhänglichkeit, denn sein Vater hatte ihm dieses Töfftöff zu Beginn des Jahrhunderts geschenkt, als er seine Praxis eröffnete. ›Ich weiß, dass er keinen guten Charakter hat‹, hat er zu mir gesagt, ›aber ich weiß, wie ich ihn behandeln muss, und außerdem bin ich an ihn gewöhnt‹.
Und jetzt Euphrosine. Sie diente als Köchin bei meiner Tante, die sie leidenschaftlich verehrte. Nach dem Tod seiner Schwester hielt mein Onkel es für seine Pflicht, Euphrosine zu behalten. Als er dann beschloss, nach Afrika zu gehen, zog sie zu ihren Neffen, und mein Onkel setzte ihr eine Rente aus. Letzten Samstag hat er die Dummheit begangen, sie zu besuchen und sich nach ihrer Gesundheit zu erkundigen. Und da hat sie ihn angefleht, sie wieder in seinen Dienst zu nehmen, und gejammert, ihre Neffen würden sie nicht respektieren. Aus Mitleid hat er sich überreden lassen und mich vor die vollendete Tatsache gestellt. So kam Euphrosine am nächsten Tag in die Villa in Champel. Eine Katastrophe. Diese Hexe ist über siebzig, und das Alter hat ihren Verstand angegriffen. Ihr Dienst hat übrigens nicht lange gedauert. Zwei Tage nach ihrer Ankunft in Champel erklärte sie, sie sei müde, und legte sich ins Bett. Kurzum, seit vorgestern verbringt sie glückliche Tage im Bett, und mein armer Onkel muss sich um sie kümmern. Da ich bisher noch kein Dienstmädchen gefunden habe, habe ich gestern Morgen eine Putzfrau engagiert.
Nur noch dies, und dann ist Schluss. Seit Jahren hat mein Onkel gleichzeitig an drei Manuskripten gearbeitet. Ein Buch mit dem Titel
Dinge und Menschen des alten Genf
, eine Übersetzung der
Äneis
und ein Leben Calvins. Dieses Manuskript ist ziemlich langweilig. Wenn er mir daraus vorliest, mache ich große Augen, und er ist glücklich.
Noch etwas über ihn. Von Zeit zu Zeit streut er einen Satz auf Englisch ein,
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