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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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Kälte, in diesem Graus Müssen wir Armen so früh hinaus.
    Dem Tisch gegenüber steht der Schrank, aus dem ich den Schrein meiner Schwester gemacht habe. Im obersten Fach ihre Fotos, die ich nicht anzusehen wage, und die Bücher, die sie geliebt hat. Unter anderem ein Gedichtband von Tagore, den wir kleinen Mystikerinnen von vierzehn und fünfzehn Jahren mit größter Konzentration zu lesen pflegten. In diesem Schrank, den ich gerade geöffnet habe, hängt auf einem Bügel ein Kleid Élianes, es war ihr schönstes, ich hatte nicht den Mut, es fortzugeben, vielleicht haftet ja noch etwas von dem Duft ihres schönen Körpers daran, dessen Weg so früh unterbrochen wurde.
    Geliebter, gestern Abend las ich ein Buch, und plötzlich ertappte ich mich dabei, dass ich überhaupt nichts verstand und nur an Sie dachte. Geliebter, ich habe meinen kleinen Salon und mein Schlafzimmer neu streichen lassen. Morgen werden die Maler die letzte Schicht auftragen. Es ist mir egal, was Sie von mir denken, aber ich habe alles nur für Sie neu streichen lassen. Für Sie auch ein Perserteppich, ein großer Schiraz, ich hoffe, er gefällt Ihnen. Die Farbtöne sind Grün, Rosa und Gold, wunderbar sanft und matt.
    Geliebter, die Kleider, die ich bestellt habe, bereiten mir wahre Albträume. Ich weiß nicht, ob die gelungenen Ihnen gefallen werden, denn von einigen weiß ich bereits genau, dass sie verpfuscht sind, aber ich war zu feige, dem Couturier etwas zu sagen, und habe so getan, als sei ich zufrieden. Es waren so viele Änderungen notwendig, dass die bestellten Sachen erst am Samstag, also am Tag Ihrer Ankunft, fertig sein werden. Weiß der Himmel, wie! Hören Sie, Geliebter, Sie müssen mir sofort ganz offen sagen, welche Kleider Ihnen nicht gefallen, damit ich sie nicht mehr anziehe, jedenfalls nicht, wenn ich Sie sehen soll. Schon jetzt vielen Dank.
    Geliebter, der Knöchel tut mir weh, denn ich habe mir neulich den Fuß verstaucht, als ich zu einer Telefonzelle rannte, wo ich unverzeihlicherweise Ihr Telegramm hatte liegen lassen. Aber ich möchte nicht, dass Sie denken, ich sei eine Art Krüppel geworden. Ich kann Ihnen versichern, dass mein Knöchel nicht geschwollen ist und dass ich nicht hinke. Übermorgen wird alles vorbei sein, und ich werde wieder einen völlig normalen Knöchel haben.
    Ich stelle fest, dass ich weiblicher sein und Ihnen nicht so offen erzählen sollte, wie sehr ich Ihnen gefallen möchte, und Ihnen auch nicht ständig sagen, dass ich Sie liebe. Im Grunde hätte ich Ihnen ein ganz kurzes Telegramm schicken sollen, in der Art, ›einverstanden 25. August‹ und sonst nichts, oder besser noch ›unmöglich 25. August‹. Wenn ich eine richtige Frau wäre, würde ich Ihnen diesen Brief nicht schicken, Ihnen, der Sie keine Zeit haben, mir zu schreiben. Aber ich bin keine Frau, ich bin nur ein ungeschicktes Kind mit weiblichen Tricks, Dein Dich liebendes Kind. Und siehst Du, mir wäre es nie eingefallen, Dir in einem Telegramm zu sagen, dass ich keine Zeit habe, Dir zu schreiben.
    Und jetzt will ich Ihnen erzählen, was ich gestern und heute getan habe. Mittwochnachmittag nach dem Couturier bin ich nach Jussy gefahren, um sehr nette Bauersleute zu besuchen, die ich seit langem kenne. Ich wollte ihnen nur guten Tag sagen, sie aber auch bitten, mich ihre Kuh Brunette, die ich ebenfalls seit meiner Kindheit kenne, auf die Weide führen zu lassen. Sie haben es mir erlaubt, und ich habe einen großen Stock genommen, weil das so üblich ist. Hüh, Brunette! Ein wenig später, als ich mich gerade bückte, um ein paar schöne Steinpilze zu pflücken, hörte ich mich plötzlich ganz unwillkürlich diese beiden Worte sprechen: ›Mein Liebster.‹ Brunette und ich sind bis sieben Uhr draußen geblieben.
    Rückkehr nach Hause um acht Uhr abends. Um fünf Minuten vor neun in den Garten gelaufen, um zum Polarstern zu blicken. Hoffentlich waren Sie auch da. Mir schien, als spürte ich es. Danach ein Spaziergang in meinem Wald. Erst ziemlich spät wieder zurück. In meinem Bett habe ich noch einmal Ihre Telegramme gelesen, aber nicht zu oft, damit sie nichts von ihrer Würze verlieren. Anschließend habe ich stückchenweise Ihr Foto betrachtet, aber nicht sehr lange. Auch damit gehe ich sparsam um, damit es nicht seine Kraft verliert. Ich habe es unter mein Kopfkissen gesteckt, um mit ihm zu schlafen. Aber ich hatte Angst, es könnte zerknittern. Daher habe ich es wieder hervorgeholt und auf meinen Nachttisch gelegt, damit ich

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