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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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er am Ende des Flurs kehrtmachte, um in die entgegengesetzte Richtung zu gehen? Nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung war diese Gefahr gering. Und falls er in dieser kritischen Sekunde überrascht würde, würde er schon eine Erklärung finden. Ja, er würde einfach sagen, er habe es sich anders überlegt und wolle X nicht aufsuchen, bevor er mit Y gesprochen habe. Und so lief er wie besessen auf dem Flur umher. Schwitzend und hoffend.

***

    »Ach, guten Tag, Rianounette, welch freudige Überraschung, wirklich lieb von dir, dass du anrufst. Entschuldige, Liebling, einen Augenblick. (Er tat, als spräche er mit einem unvermutet in sein Büro getretenen Kollegen und sagte mit herablassender Stimme und den Mund nahe am Hörer, so dass seine Frau es hören konnte: »Ich bedaure, mein Lieber, aber ich habe heute leider keine Zeit für Sie. Falls ich morgen einen freien Augenblick habe, melde ich mich bei Ihnen.«) Ich bitte um Verzeihung, Liebling, das war Huxley, der eine Auskunft von mir wollte, du weißt doch, dieser Kerl, der sich für den Größten hält, aber bei mir zieht das nicht. (Huxley, Solals Kabinettschef, war der eleganteste und frechste Engländer im Sekretariat. Adrien hatte ihn zum Opfer gewählt, weil er – leider – nur allzu gut wusste, dass Huxley ihn niemals einladen würde. Er riskierte also nicht, dass Ariane je herausfinden könnte, wie liebenswürdig er unter anderen Umständen diesem Snob gegenüber sein konnte.) Also, Liebling, welcher gute Wind weht mir deine Engelsstimme zu? (Schneller Zungenschlag über die Oberlippe, ein Tick, den er Huxley abgeguckt hatte.) Du willst mich hier im Büro besuchen? Wunderbar, ich bin entzückt! Warte mal, jetzt ist es vier Uhr fünfzig. Nimm den Wagen und versuch sofort zu kommen, ja? Ich werde dir meine kleine Brunswick zeigen, du weißt doch, ich hatte dir davon erzählt, diese ganz wunderbare Bleistiftanspitzmaschine, die ich vor meiner Abreise nach Valescure im Materiallager bestellt hatte. Der Bote hat sie eben gebracht. Ich habe sie noch nicht ausprobiert, aber ich glaube, sie ist ganz toll.«
    Keine Antwort, sie hatte schon wieder eingehängt. Er putzte seine Brille. Eine komische Nummer, seine Rianounette, aber was für ein Charme, nicht wahr? Ja, Handkuss zur Begrüßung, das wirkt feinfühlig und vornehm. Dann sie mit einer Geste im Stil des Quai d’Orsay bitten, Platz zu nehmen. Ärgerlich allerdings, dass seine Hand nur auf einen gewöhnlichen Stuhl und nicht auf einen Ledersessel zeigen würde. Ach ja, es dürfte Ihnen nicht entgangen sein! Und solchen Missständen muss man schleunigst abhelfen! Nur Geduld.
    »Wie? Aber, mein Alter, ich kann doch nichts dafür, ich habe mein Bestes getan, um diesem verdammten Solal zu begegnen, den der Kuckuck holen soll. Was willst du, es ist doch nicht meine Schuld, dass dieses Schwein Huxley mir zuvorgekommen ist, und dabei hat er mich komisch angeschaut und sich wahrscheinlich gefragt, was ich da wohl mit meinem dicken Ordner zu schaffen hätte. Was will man machen, da musste ich eben wieder gehen, es blieb mir ja gar nichts anderes übrig. Ich werde es morgen noch mal versuchen. Abgemacht, einverstanden, lass mich in Ruhe, und übrigens ist das noch nicht alles, schauen wir doch mal, wie unsere kleine Brunswick funktioniert. Komm, mein Schätzchen.«
    Nicht ohne Rührung steckte er den ersten Bleistift in die Öffnung, kurbelte behutsam, war von dem geölten Getriebe sehr angetan und zog den Operierten heraus. Tadellos, diese Spitze. Die Brunswick ist eine gute kleine Arbeiterin, wir werden gut miteinander auskommen.
    »Ich liebe dich«, sagte er zu ihr. »Und jetzt der nächste Herr bitte!« Und er griff nach einem weiteren Bleistift.
    Einige Minuten später klingelte das Telefon. Er zog den siebenten Bleistift aus der Anspitzmaschine und nahm den Hörer ab. Es war der Portier vom Haupteingang, der fragte, ob Madame Adrien Deume heraufkommen könne. Er antwortete, er sei in einer Konferenz und würde zurückrufen, sobald er frei sei. Er legte den Hörer auf und fuhr sich mit der Zunge kurz über die Lippen. Es machte sich immer gut, in einer Konferenz zu sein und sie ein bisschen warten zu lassen!
    »In einer Konferenz«, sagte er noch einmal selbstherrlich, legte den Bleistift ein, kurbelte dreimal, nahm ihn heraus, prüfte ihn, fand ihn spitz genug und presste ihn leicht gegen seine Wange, um die Schärfe der Spitze zu spüren. Ein wahres Wunder. Morgen würde er weitermachen. So, und jetzt die

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