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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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der Forschungsreisen in den Himalaya unternimmt. Die Arme hatte kein Glück gehabt.
    Als die Lektüre beendet war, erging man sich in nutzlosen und tiefschürfenden Kommentaren über den Roman, während man teure Zigaretten rauchte. Dann schlug sie ihm vor, einen weiteren Roman desselben Autors zu beginnen. Er schüttelte den Kopf. Er hatte genug von diesen Romanentwürfen, zum Kotzen intelligent und trockener als Johannesbrot. Daraufhin schlug sie ihm eine Biografie Disraelis vor. O nein, nicht diesen Schlaumeier, dessen einziges Talent seine Schlauheit war und der es wenigstens verstanden hatte, sein Leben nicht zu verpatzen wie er. Nach erneutem Schweigen redete sie von dem tristen Wetter, das heute geherrscht hatte, was sie zu der Bemerkung veranlasste, wie sehr sie sich freue, dass es bald Frühling werde, im Grunde ja schon in zehn Wochen, was sie wiederum veranlasste, von der seltsamen und fast religiösen Rührung zu sprechen, die sie beim Anblick der kleinen grünen, aus dem Boden sprießenden Knospen empfinde, die sich so demütig auf das Leben freuten. Er nickte ihr feierlich zu und dachte bei sich, dass sie jetzt schon das dritte Mal seit ihrer Ankunft in Agay von den grünen Knospen und ihrer fast religiösen Empfindung sprach. Gar nicht so leicht, die Vorräte zu erneuern. Ein weiteres Mal Mitleid mit ihr haben, aber das machte die Dinge auch nicht besser. Sie tat ja ihr Bestes, um alles mit ihm zu teilen. Schön, teilen wir. Er spielte also den Anteilnehmenden und Verständnisvollen und behauptete, auch ihn rührten die kleinen grünen Knospen. Jetzt würde sie wahrscheinlich noch das Thema der so verkannten Intelligenz der Raben ausspinnen, und er hielt sich bereit, das Thema als alten Bekannten zu begrüßen. Doch die Raben wurden ihm erspart, und wieder trat Schweigen ein.
    Was sollte er jetzt tun? Ihr einen stürmischen Kuss geben, von Genfer Art? Nein, Gefahr. Der leidenschaftliche Kuss, den sie gewissenhaft erwidern würde, wahrscheinlich schon aus Pflichtgefühl, hatte den Nachteil, dass sie sich fragen würde, warum nichts darauf folgte. Also ein sentimentaler Kuss, nur auf die Lider. Er gab ihn ihr, und sie drückte ihm ihre Dankbarkeit mit einem grauenhaft herzallerliebsten Schulmädchen-»Dankeschön« aus. Dann herrschte wieder Schweigen. Da er weder ein neues Gesprächsthema fand noch eine neue Art, ihr zu sagen, dass sie schön sei oder dass er sie liebe, neu genug, um von ihr wahrgenommen zu werden, beschloss er, ihr trotzdem einen inbrünstigen und langen Kuss zu geben. Er tat es und wunderte sich erneut über diesen Brauch zwischen Männern und Frauen, ein ziemlich komischer Brauch, wenn man es recht bedachte, denn wie konnten zwei Menschen nur auf die Idee kommen, mit solch wilder Leidenschaft Körperöffnungen aufeinanderzudrücken, die zur Nahrungsaufnahme bestimmt waren. Als die Vereinigung der Lippen beendet war, trat erneut Schweigen ein, und sie lächelte ihm zu, folgsam, perfekt, zu allem bereit, zu Küssen oder zum Dominospiel, zu Kindheitserinnerungen oder zum Bett. Perfekt, ja, aber neulich Abend beim Dominospiel hatte sie sich auf die Lippe gebissen, um nicht zu gähnen.
    »Wie wär’s mit einer Partie Domino?«, schlug sie mit heiterer Miene vor. »Ich möchte meine Revanche haben. Ich bin sicher, dass ich heute Abend gewinnen werde.«
    Sie kam mit der Spieleschachtel aus dem Salon und nahm die Dominosteine heraus, die sie zu legen begannen. Aber kaum hatte sie ihre erste Doppelsechs gelegt, fing unten die Musik wieder an. Erneut tanzten die Glücklichen und verspotteten die beiden Einsamen. Seine arme Ariane verbannt aus dieser Fröhlichkeit. Er sagte, er habe keine Lust zum Spielen, und schob die Dominosteine von sich, wobei sie zu Boden fielen. Sie erhob sich, um sie aufzuheben. Schnell, irgendetwas, um der Geselligkeit dort unten etwas entgegenzusetzen, um die Unglückliche zu hindern, an den Kontrast zwischen ihrem mit Dominosteinen ausgefüllten Vitaminmangel und der unten herrschenden unverschämten Fröhlichkeit zu denken, die zu ihnen heraufdrang, die gesunde Freude der unten versammelten Idioten, die jetzt klatschten und lachten. Irgendetwas, aber etwas Lebendiges, Interessantes, Pathetisches. Sie ohrfeigen? Die schönen erwartungsvollen Augen raubten ihm den Mut. Das Beste und Einfachste wäre natürlich, sie zu begehren, mit allen Folgen. Leider. In Genf war es so leicht gewesen. Er stand abrupt auf, und sie zuckte zusammen.
    »Und wenn ich ein Krüppel ohne

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