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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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Arme und Beine wäre?«, fragte er, und sie befeuchtete ihre vor Angst trocken gewordenen Lippen.
    »Ich verstehe nicht«, sagte sie, bemüht lächelnd.
    »Setz dich, edle und treue Freundin. Fühlst du dich wohl, ist dir nicht kalt, alles in Ordnung? Auf den Krüppel ohne Arme und Beine kommen wir gleich zurück. Aber lösen wir zuerst ein anderes Problem. Neulich, bevor wir reiten gingen, woran dir ja so viel liegt, bist du zu mir gekommen, hast die Aufschläge meines Jacketts gestreichelt und mir gesagt, dass ich schön sei und das Reitdress mir gut stehe. Nun?«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Er ist schön, mein Geliebter, das Reitdress steht ihm so gut, hast du gesagt und erneut die Aufschläge gestreichelt. Antworte!«
    »Aber was soll ich antworten?«
    »Gibst du zu, dass du diese Worte gesagt hast?«
    »Ja. Aber was ist so schlimm daran?«
    »Es ist sehr schlimm! Denn du liebst nicht mich, sondern einen Mann, und zu allem Überfluss auch noch einen schönen Mann! Wärst du nicht mir begegnet, so hättest du dich für einen anderen von gleicher Körperlänge begeistert und ihm die gleichen abscheulichen Worte gesagt! Gurrend wie ein Täubchen, mit zurückgeneigtem Kopf, blöde aufblickend zu dem autoritären blonden Kerl mit der Pfeife im Mund, ihm schamlos die Rockaufschläge streichelnd, bereit, den Mund zu öffnen! Schweig!«
    »Aber ich sage doch gar nichts.«
    »Schweig trotzdem! Und jetzt nimmt der Kerl die Pfeife aus dem Maul, und du ekelst dich nicht vor dem schmutzigen Tabaksaftgeschmack auf seinen Lippen! Ja, ich weiß, ich hätte es im Konditional sagen sollen, aber es kommt aufs Gleiche hinaus! Wer sich nicht ekeln würde, ekelt sich nicht! Und du hast auch gesagt, die Stiefel stünden mir gut! Stiefel erregen sie alle! Stiefel, Kraft, militärischer Ruhm, der Sieg des Starken über den Schwachen, das ganze Gorillagebaren, mein Liebling! Anbeterinnen der Natur und ihrer schmutzigen Gesetze seid ihr allesamt! Und mehr noch, für diese Heidin bedeuten Stiefel gesellschaftliche Macht! Ja, der Reiter ist immer ein angesehener Mann, ein Edelmann, ein wichtiges Stammesmitglied, letzten Endes ein Nachkomme der Barone des Mittelalters, ein Ritter, einer, der hoch zu Ross sitzt, ein Inhaber der Macht, ein Adliger! Adliger, dieses schmutzige doppeldeutige Wort, in dem sich die widerwärtige Anbetung der Stärke kundtut, dieses schmutzige Wort, das gleichzeitig Unterdrücker der Schwachen und bewunderungswürdiger Mann bedeutet! Das habe ich schon gesagt? Möglich. Auch die Propheten wiederholten sich. Kurz, sie ist reif für den Faschismus, die Stiefelbewunderin! Ritter, ritterlich, Ehrenmann, pfui Teufel! Fragen Sie mal Eisenbeißer, der wird Ihnen sagen, was hinter der Ehre steckt, dieser Ehre, von der Sie so viel Aufhebens machen. Schweig!
    Der arme, so gutmütige, so sanfte Deume, den sie für mich verlassen hat, für mich, weil ich im Ritz den starken Mann gespielt habe, den ungenierten Gorilla, und weil ich den lieben netten Deume gedemütigt habe! Wie habe ich mich geschämt, als ich ihn am Telefon demütigte, aber ich musste es tun, weil sie sich nur zu diesem schmutzigen Preis kaufen lassen wollte! Schon komisch, ich ereiferte mich gegen die Stärke und die Männlichkeit und habe sie durch Stärke und Männlichkeit erobert, schändlich erobert! Ich schäme mich jedes Mal in Grund und Boden, wenn ich an meinen brillanten Gorillaauftritt im Ritz denke, an mein Auerhahngebalze, an meinen animalischen Hochzeitstanz! Aber was sollte ich tun? Ich hatte ihr einen Alten, einen Sanften und einen Schüchternen angeboten, aber den wollte sie nicht, dem hat sie ein Glas oder ich weiß nicht was ins Gesicht geschleudert! Schweig!
    Bin ich wahnsinnig, ist diese Geschichte der animalischen Anbetung der Stärke, der Stärke, die Macht zu töten ist, Spinnerei? Aber nein, ich sehe sie noch, ja, Sie, ja, dich, ich sehe sie, wie sie neulich so verwirrt und ehrfürchtig vor dem Tigerkäfig stand, in Nizza, im Zirkus während der Pause! Dieses sinnliche Aufblitzen ihrer Augen! Sie war so erregt, dass sie mir heftig die Hand drückte, wahrscheinlich in Ermangelung der des Tigers! Ja, schon gut, Pfote hätte ich sagen sollen. Erregt und verwirrt von dem Tiger, ja, wie das Frauenzimmer Europa von dem Stier! Jupiter war nicht dumm, er kannte die Frauen! Die Jungfrau Europa mit ihren langen Zöpfen hat vor dem Stier bestimmt keusch die Augen niedergeschlagen und zu ihm gesagt: ›Sie sind so stark, mein Liebling.‹ Und diese

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