Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
Vom Netzwerk:
Spanierin in einem Theaterstück, die zu ihrem Geliebten sagt, er sei ihr herrlicher und großmütiger Löwe! Ihr Löwe! Das also ist das Wort, das dieser schandbaren Doña Sol, diesem Weib aus Pech und Teer, das beste Wort der Liebe zu sein schien, das bewundertste, das liebenswürdigste, das Wort, das ein Tier mit enormen Eckzähnen und Krallen und großer Macht zu töten bezeichnet! ›Sie sind mein herrlicher und großmütiger Löwe!‹ O abscheuliche Kreatur!
    Und hat diese Frau, die hier schweigend vor mir steht und die Edelmütige spielt, hat sie nicht neulich in Nizza die Stirn gehabt, mir vor dem Käfig zu sagen, sie würde liebend gern das Fell des Tigers berühren? Berühren! Also sexuelle Anziehung! Mit den Händen fängt die Sünde an! Schweig! Und wer weiß, vielleicht zieht sie das Fell des Tigers dem Fell Solals vor! Und all Ihre Flirtereien mit jeder Katze, die Ihnen über den Weg läuft! Der Katze gestern, diesem Tiger im Taschenformat und Vogelmörder, haben Sie mit vielsagendem Vergnügen den Bauch gestreichelt! Schweig, Tochter Moabs! Aber die Nacktschnecken, nein, die streichelt sie nicht, von denen wendet sie sich angeekelt ab! Warum dieser Ekel, warum kein Geflirte mit den Nacktschnecken? Weil sie weich und schlaff sind, keiner Erektion fähig, die Nacktschnecken, weil sie weder Muskeln noch Reißzähne haben, die Nacktschnecken, weil sie schwach sind und unfähig zu töten! Aber ein Tiger oder ein Generalissimus oder ein Diktator oder ein Solal, der im Ritz den frechen und dynamischen Mann von Welt spielt, ja, vor dem schmilzt man dahin, dem küsst man die Hand am ersten Abend, in Erwartung, ihm die Rockaufschläge zu befummeln! Immer die schmutzige Anbetung der Macht zu töten, die schmutzige Anbetung der schmutzigen Männlichkeit! Schweig!«
    Mit zitternden Lippen betrachtete er die Schuldige, griff nach der Reitpeitsche und schlug damit so heftig auf einen Sessel, dass sie zusammenzuckte.
    »Und wenn ich sie mir abschneiden ließe?«, fragte er. »Antworte!«
    »Ich verstehe nicht«, sagte sie leise.
    »Hinhaltetaktik! Du hast sehr gut verstanden! Wenn ich sie mir also abschneiden ließe, diese beiden erbärmlichen kleinen Zeugen, würdest du mir dann immer noch liebevoll die Rockaufschläge streicheln, du weißt doch, mit Mozartliebe, mit
Voi-che-sapete -Liebe
? Würde deine Seele dann immer noch meine Seele lieben? Antworte!«
    »Hören Sie, Geliebter, reden wir nicht davon.«
    »Warum?«
    »Aber das wissen Sie doch.«
    »Erklär mir, warum.«
    »Weil es eine so irreale Hypothese ist.«
    »Irreal, dass ich nicht lache! Irreal? Woher wollen Sie das wissen, Madame? Wer hat Ihnen gesagt, dass ich nicht versucht bin, meiner Männlichkeit ein Ende zu bereiten?«
    »Geliebter, reden wir nicht mehr davon.«
    »Kurz, Sie weigern sich, sich zu kompromittieren. Ehre also den beiden kleinen Anhängseln, die meiner Ophelia so teuer sind, wir wollen sie wie Kleinode bewahren! (Er blickte sie an, und in seinen Augen blitzte die Freude der Erkenntnis auf.) Ich weiß sehr gut, was Sie jetzt denken! Zersetzender jüdischer Geist oder zerstörerischer jüdischer Geist, nicht wahr? Auf diese Weise geht ihr der unangenehmen Wahrheit aus dem Weg, ihr, die ihr eure Gehirne in den bequemen Kokon des Ideals eingewickelt habt! Luzifer, der lichttragende Engel, ihn habt ihr zum Teufel gemacht! Aber kommen wir jetzt auf den arm- und beinlosen Krüppel zurück. Würden Sie mich immer noch lieben, wenn ich ein solcher Krüppel wäre?«
    Plötzliches Empfinden von Schmerz. Neulich Abend in Nizza die Flaggenzeremonie auf dem französischen Torpedoboot. Die Fahne feierlich zur Nacht eingeholt, und er die strammstehenden Matrosen beneidend, den grüßenden Offizier beneidend, während im Dämmerlicht die Flagge langsam heruntergelassen wurde. Adieu Frankreich, er gehörte nicht mehr dazu. Ein paar Tage nach ihrer Ankunft der Brief auf dem schäbigen Papier des Polizeikommissariats von Saint-Raphaël, in welchem dem Herrn Solal mitgeteilt wurde, dass ihm kraft eines im
Journal officiel
veröffentlichten Dekrets die französische Staatsbürgerschaft entzogen worden sei; dass die Begründung dieser Maßnahme ihm gemäß den gesetzlichen Bestimmungen nicht mitgeteilt werden müsse, dem Betroffenen jedoch eine Frist von zwei Monaten eingeräumt werde, um Berufung einzulegen; dass oben erwähntes Dekret jedoch ein ungeachtet der Berufung zu vollstreckendes Urteil sei und der Obengenannte hiermit aufgefordert werde, sich im

Weitere Kostenlose Bücher