Die Schöne des Herrn (German Edition)
murmelt er und blickt sich um, ob ihn auch niemand hört. Für die Wärmflasche sterben ist der schönste Tod, und der beneidenswerteste. Ihre Schweigeminute, um einen Toten zu ehren, nur eine Minute, und danach geht man essen. Und dieser Priester, der im Radio vom Schmerz sprach, ein kalter Mann, der Worte sagte, innehielt, um zu husten, der mit angenehmer Stimme vom Schmerz sprach. Neulich hatte er sich auf der Straße so allein gefühlt und sich plötzlich so geängstigt, dass er sich auf dem Rückweg ins Hotel mit Pralinen hatte beruhigen müssen, die er unterwegs in immer neuen Bäckereien gekauft hatte. Nur die in der Gesellschaft lebenden Glückspilze sehnen sich mit blöde überlegener Miene nach Einsamkeit. Am Sonntagmorgen die Glocken der Kirche neben dem Hotel, die Glocken, die er gehört hatte, obwohl er sich das Kopfkissen auf den Kopf gedrückt hatte, um diese Rufe, diese Glückseligkeiten nicht zu hören.
In diesem Bistro zwei Arbeiter am Nebentisch. »Das Kino sagt mir nichts, das ist nicht mein Geschmack, ich bin mehr für Bildung, Sehenswürdigkeiten, die Nationalmuseen, Napoleons Grab. Mindestens einmal im Jahr geh ich zu Napoleons Grab, ganz allein, um mich in die richtige Stimmung zu bringen, manchmal, meist aber mit einem Kumpel, dem ich dann alles erkläre. Mein Alter, so wahr ich hier sitze, hab ich den Hut des Kaisers in meinen Händen gehalten, und ich versichere dir, das ist ein erhebendes Gefühl. Ich hab auch seine Weste berührt, der Wächter hat es mir erlaubt, nachdem wir ins Gespräch gekommen waren, aber das Schwert des Kaisers hab ich nicht berührt, das wollte ich nicht, aus Ehrfurcht. Auch das Panthéon ist interessant, all die großen Männer, die man dort zur Ehre der Nation beigesetzt hat. Um auf Napoleon zurückzukommen, er hat gesagt, ich will an den Ufern der Seine beigesetzt werden, in der Nähe des französischen Volks, das ich so geliebt habe. Ach, mein Alter, da kommen einem die Tränen. Das war ein Mann! Schon als Junge hab ich mich für ihn begeistert, es ist unglaublich. Und der Sohn des Adlers, Napoleon II.! Er hat nie Offiziere um sich gehabt, sonst hätte er regiert, aber an seinen Vater hätte er nie herangereicht, das ist ausgeschlossen, einen Helden wie seinen Vater gibt es nicht zweimal! Zuerst war er König von Rom, aber sein Großvater hat ihm den Thron weggenommen, aus Eifersucht auf den Vater, und da war er nur noch Herzog von Reichstadt.« – »Sag mal, dieser Napoleon konnte doch alle Puppen haben, die er wollte, hm?«, fragt der andere. – »Klar, wenn ihm eine gefiel, gab er nur Befehl, und um Mitternacht vernaschte er sie.« – »Im Grunde war er auf seine Art ein Hitler.« – »Nein, Monsieur, das kann man nicht vergleichen, Napoleon war der Herr der Welt! Daran gibt’s nichts zu rütteln! Schön, die modernen Generäle sind Kenner, einverstanden, das will ich nicht bestreiten, aber mit den heutigen modernen Waffen ist es ja auch viel leichter, während Napoleon alles mit dem Schwert gemacht hat!« – »Gut, soll er seinen Ruhm haben, alles, was du willst, aber er hat immerhin drei Millionen Holzkreuze auf dem Gewissen!« – »Napoleon ist und bleibt Napoleon! Mein Alter, wenn er nicht diesen Wellington gegen sich gehabt hätte! Und der Verrat durch Grouchy! Das Ausschlaggebende ist doch das Genie des Mannes! Und, mein Alter, vergiss nicht, dass Napoleon der große Patriot war, alles für das Ansehen Frankreichs, damit es respektiert wird, und die großen Siege! Und außerdem hat er viel Gutes getan, das ist unbestreitbar! Wenn er sich mies benommen hätte, wäre er nie so beliebt gewesen. Und all seine Grenadiere, die beim Abschied in Fontainebleau weinten, als er die französische Flagge küsste und an sein Herz drückte, der war schon jemand, das kannst du mit glauben!« – »Das bestreite ich ja nicht, aber man darf nicht vergessen, dass Frankreich damals das am dichtesten bevölkerte Land war!« – »Red doch nicht so einen Quatsch! Napoleon ist und bleibt Napoleon!« – »Immerhin haben einige dran glauben müssen!« – »Aber das ist doch nichts verglichen mit Hitler, da werden einige mehr dran glauben müssen, du wirst schon sehen, denn eins garantier ich dir, wir werden Krieg haben wegen den Juden! Die wollen ihn nämlich! Nicht er!« – »Das stimmt allerdings, und wir werden krepieren wegen dieser Dreckskerle.« – »Rausschmeißen muss man das ganze Judenpack!«, ruft die Wirtin. Er gehorcht, zahlt und geht hinaus.
»Tod
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