Die Schöne des Herrn (German Edition)
hinausgehen, um sich weitere zu kaufen, von Zeit zu Zeit an der Börse spekulieren und lesen, sein Leben mit Lesen verbringen, während man auf den Tod wartet. Ja, aber sie, ganz allein in Agay? Unbedingt heute Abend eine Entscheidung treffen. Inzwischen diesen Band der
Memoiren
von Saint-Simon kaufen. Nein, ihn einfach nehmen, da er ja in einer feindlichen Welt ist. Er braucht nicht den Gesetzen einer Welt zu gehorchen, die seinen Tod will. Tod den Juden? Schön. Wenn es so ist, wird er stehlen. Im Krieg ist alles erlaubt. Er nimmt das Buch, blättert darin, schiebt es sich ruhig unter den Arm und geht weiter, schlurfend, und die Schachtel mit den Schokoladentrüffeln schwingend.
Place Saint-Germain-des-Prés. Vor dem Kirchenportal steht der junge Mann und preist seine Zeitung an. »Kaufen Sie den
Antijuif!
Soeben erschienen!« Es ist also eine neue Ausgabe. Nein, kaufen verboten. Er geht zu ihm, das Taschentuch vor der Nase, verlangt den
Antijuif
, bezahlt, und der junge Mann lächelt ihn freundlich an. Das Taschentuch wegnehmen, mit ihm reden, ihn überzeugen? Bruder, begreifst du denn nicht, dass du mich quälst? Du bist intelligent, dein Gesicht ist schön, lieben wir uns. »Kaufen Sie den
Antijuif!
« Er läuft davon, überquert den Platz, biegt in eine kleine Straße, hält das Hetzblatt hoch. »Kaufen Sie den
Antijuif!
«, ruft er in die menschenleere Straße. »Tod den Juden!«, schreit er mit irrer Stimme. »Verrecken soll ich!«, schreit er mit vor Tränen strahlendem Gesicht.
Ein Taxi. Er winkt ihm, steigt ein. »Zum George V«, sagt er. Wahnsinn vortäuschen und sich in ein Irrenhaus einweisen lassen? Auf diese Weise am Leben bleiben, ohne dazuzugehören und ohne darunter zu leiden, dass man nicht dazugehört. Wenn das Taxi vor dem Hotel hält, nicht gleich hineingehen, auf dem gegenüberliegenden Gehsteig auf und ab gehen, lauern. Einen günstigen Moment abpassen, durch die Drehtür gehen, schnell die Halle durchqueren und so tun, als schnäuze er sich. Im Fahrstuhl eine gelassene Miene aufsetzen und vortäuschen, das Menü zu lesen. das dort immer aushängt.
Den Filzhut tief in die Stirn gezogen, das Taschentuch vor der Nase, stürmt er ins Zimmer, schließt die Tür; wirft das Buch auf den Boden und lässt sich auf das Bett fallen. Im Liegen pfeift er falsch die
Träumerei
von Schumann, während er mit dem Zeigefinger »Tod den Juden« in die Luft schreibt, dann drückt er den Finger auf das Auge, zwischen Augenhöhle und Augapfel, bis er alles doppelt sieht, das vertreibt die Zeit. Genug. Er richtet sich auf, blickt sich um, lächelt über sein makelloses Zimmer, an dessen Wänden keine Kreideparolen stehen. Plötzlich vergnügt, hüpft er mit lächerlichen kleinen Sprüngen mit geschlossenen Füßen zur Tür und dreht den Schlüssel zweimal herum. Endlich wirklich allein. Der arme alte Bouquinist mit seinem langen windzerzausten Bart. Morgen wird er ihm seinen Saint-Simon zurückbringen und ihm Dollar geben, damit er nicht mehr in der Kälte arbeiten muss. Einen Tausenddollarschein oder mehrere, falls er nicht zu erstaunt dreinblickt. Ja, erfahrener Spekulant, von scharfem Verstand, kaufen in der Baisse, verkaufen in der Hausse. Mit den Gewinnen der letzten Monate hat er mehr als hundert Tausenddollarscheine bei sich, einen Brustschild, den er im Falle einer Ausweisung leicht mit sich nehmen kann.
Er probiert das vorhin gekaufte Feuerzeug. Der kleine Schatz ist in guter Form, eine sehr schöne Flamme. Jetzt den hübschen kleinen Skifahrer. Er stellt ihn auf das Kissen, das als Schneehang dient, lässt ihn Slaloms und Parallelschwünge machen, findet ihn bezaubernd, küsst ihn. »Wir beide verstehen uns«, sagt er zu ihm. Jetzt der Koffer. Er holt den schönen, neulich gekauften Koffer aus dem Wandschrank für das Gepäck und atmet den guten Geruch ein. Morgen eine Spezialcreme für die Lederpflege kaufen. Er runzelt die Stirn, denn er hat einen Fleck auf dem Teppichboden entdeckt. Er befeuchtet ein Frotteetuch, kniet nieder und reibt. Wunderbar, der Fleck ist weg. Ja, das kleine Ghetto wird gut gepflegt. Man muss lieben, um zu leben. Nein, nicht den Umschlag öffnen. »Alles wird gut gehen, du wirst sehen«, sagt er und lächelt über diese Devise der Unglücklichen. Und was jetzt? Jerusalem? Oder Silbersteins Keller und Rachel? Ja, aber sie, sie allein lassen? Er betrachtet sich im Rasierspiegel. All diese Haare. Heute Abend ein Testament für sie aufsetzen. Ja, ein paar davon verbrennen,
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