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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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den Juden«, schreien ihm die Wände zu. »Leben den Christen«, antwortet er ihnen. Ja, sie lieben, nichts lieber als das. Aber können sie nicht damit anfangen, um ihn ein bisschen zu ermutigen? Von Zeit zu Zeit wirft er einen zweideutigen Blick auf die Hauswände, und wenn er von weitem diesen Wunsch liest, senkt er den Kopf. Tod den Juden. Überall, in allen Ländern, die gleichen Worte. Ist er denn so hassenswert? Vielleicht schon, denn sie sagen es ja so oft. »Also los, kommt, nur zu, tötet mich«, murmelt er. Ein Handzettel klebt an einer Dachrinne. Ihn lieber nicht lesen. Um der Versuchung zu widerstehen, wechselt er die Straßenseite. Aber kurz darauf kehrt er zurück und liest ihn doch. Ja, wie erwartet, aber da steht nur »Nieder mit den Juden«, das ist schon besser, ein kleiner Fortschritt.

    Er läuft, Erdnüsse kauend, Freundinnen der Juden, bleibt plötzlich stehen. Noch ein »Tod den Juden«, noch ein Hakenkreuz. Er hat Angst vor diesen bösen Worten, diesen bösen Kreuzen, und doch späht er nach ihnen, lauert ihnen auf, erwartet sie, ist auf der Jagd nach ihnen, ergötzt sich daran, bis ihm die Augen schmerzen. Doch was für ein Herz haben die, die solche Worte schreiben? Haben sie keine Mutter, haben sie die Güte nie kennengelernt? Wissen sie nicht, dass die Juden den Kopf senken, wenn sie diese Worte lesen, und dass sie so tun, als hätten sie sie nicht gelesen, wenn sie in Begleitung eines christlichen Freundes oder ihrer christlichen Frau sind? Wissen sie nicht, welches Leid sie auslösen, dass sie böse sind? Nein, sie wissen es nicht. Die Kinder, die den Fliegen die Flügel ausreißen, wissen es ja auch nicht. Er sieht die drei Worte an, nähert sich der Wand und macht aus dem n ein m. Der Singular ist besser. Jetzt heißt es »Tod dem Juden«. Die Nase des Bankiers im
Antijuif
. Er fasst sich an die Nase. Wenn jeden Tag Karneval wäre, könnte er sie verstecken.

    Reglos an die Mauer gelehnt, bewegt er die Lippen. »Christen, ich dürste nach eurer Liebe. Christen, lasst mich euch lieben. Christen, Menschenbrüder, dem Tod versprochen, Gefährten der Erde, Kinder Christi, der von meinem Blut ist, lieben wir uns«, murmelt er und betrachtet die, die vorbeigehen und ihn nicht lieben, betrachtet sie und streckt ihnen verstohlen und halbherzig eine Bettlerhand entgegen, und er weiß, wie lächerlich er ist, weiß, dass alles vergeblich ist. Er geht weiter, kauft eine Zeitung, um zu lesen, um nicht zu denken. Er liest mit gesenktem Kopf, rempelt Passanten an, wird beinah überfahren. Rue Caumartin. Die Hauswände, seine Feinde, die Wände schreien, verfolgen ihn. Boulevard de la Madeleine. Sich in die Métro flüchten? Sich in den Gängen der Métro an eine Wand stellen, an nichts mehr denken unter der Erde, sich zu Abfall erklären, ohne Verantwortung, ohne Hoffnung. Nein, die Métro ist noch schlimmer. Die Wände der Métro schreien noch lauter als die oben »Tod», verlangen seinen Tod.

    Place de la Madeleine. Eine Konditorei. Er tritt ein, kauft sechs Schokoladentrüffeln, verlässt den Laden, geht weiter und schwingt die Schachtel mit den Trüffeln, während seine Schuhe majestätisch über den Gehsteig gleiten. Sechs Trüffeln, meine Herren, jetzt haben wir Gesellschaft. Sechs kleine christliche Freundinnen im Ghetto, die dort in gewisser Weise schon auf ihn warten. Ja, zurück ins Hotel, ins Bett, ins Bett mit ihm, mit seinem Freund Solal, sich die Zeit mit der Lektüre der antisemitischen Bosheiten vertreiben und dabei die Trüffeln essen. Ja, im Ghetto steht ein ganzer Koffer voll antisemitischer Bosheiten, und in der Nacht steht er plötzlich auf, öffnet schnell den Koffer und liest ihre Bosheiten, im Stehen, gierig, liest die ganze Nacht, liest ihre Bosheiten, liest sie mit Interesse, Todesinteresse. Nein, die Menschen sind nicht gut. Doch gleich in seinem Zimmer, seinem geliebten Zimmer, wenn man sich dort einschließt, wird er nicht ihre Bosheiten lesen, sondern lieber einen Kriminalroman. Ein Kriminalroman ist angenehm, es ist falsches Leben, das nicht an das Draußen erinnert, und in den Kriminalromanen gibt es unglückliche Menschen, und das ist tröstlich, man ist nicht allein. Ach, er hat den Roman der alten Engländerin ja gar nicht mehr. Er muss ihn irgendwo vergessen haben.
Das Geheimnis des Papageien
, arme alte Schachtel.

    Quai Malaquais. Die Kästen der Bouquinisten. Ja, das ist die Lösung. Sich in ein Hotelzimmer einschließen und Romane lesen, nur noch

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