Die Schöne des Herrn (German Edition)
seinen kleinen Skifahrer.
Er zuckt zusammen, als er zu seiner Linken einen Polizisten sieht, der mit ihm Schritt hält. Er pfeift mit falscher Unbekümmertheit, um ihm zu zeigen, dass er sich nichts vorzuwerfen hat, lächelt gleichgültig, unbekümmert, unschuldig. Ich hasse dich, sagt er innerlich zu ihm. Ihn mit ehrlicher Miene fragen, wo die Madeleine ist, um den Verdacht abzulenken? Nein, lieber nichts mit der Polizei zu tun haben. Er beschleunigt den Schritt und wechselt den Gehsteig. »Reingelegt«, murmelt er und geht weiter, sich in regelmäßigen Abständen räuspernd, ein Einsamer, der durch Kehllaute seinen Gedanken Luft macht.
Das Schaufenster eines Fotografen. Er bleibt stehen und betrachtet die im Zustand der Sanftmut festgehaltenen Gesichter, die ihre alltägliche Bosheit abgelegt haben. Wenn die Menschen sich fotografieren lassen, lächeln sie, sind gut, und ihre Seele ist festlich gewandet. Es ist angenehm, sie zu betrachten, man hat das Beste von ihnen. Angenehm, dieser Arbeiter in seinem neuen Anzug, wie er dasteht, einen Fuß auf der Spitze balancierend, die Hand auf einem Buch, das auf einem Tischchen liegt. Genug. Er überquert die Straße, von Bäumen angezogen. Er setzt sich auf eine Bank. All diese Leute, die an ihm vorbeigehen, tun eine Menge unnütze Dinge, gehen zum Friseur oder auf die Haushaltswarenmesse. Ihn jedoch retten, ihn, wenn er sie darum bäte, retten, indem sie sich bereitfänden, eine Petition zu unterschreiben, niemals. Mit einem Friseur plaudern, das ja, sich stundenlang Staubsauger anschauen, ja, doch einen Menschen retten, nein. All diese Frauen, die an ihm vorbeigehen und sich einbilden, sie würden ewig leben, die mit klappernden Absätzen so süß auf dem Gehsteig vorbeispazieren.
Ein kleiner Alter setzt sich auf die Bank, sagt guten Tag. Du sagst guten Tag zu mir, weil du nicht weißt, wer ich bin. »Schönes Wetter heute«, sagt der Alte, aber die Regenfälle der letzten Woche hätten sein Rheuma verschlimmert. In seinem Alter, mit seinem Rheuma, und dem Magen, der auch nicht in Ordnung sei, könne er keine qualifizierte Arbeit mehr leisten. Wenn er die Arme hebe, werde ihm schwindlig, aber genau das müsse man, wenn man Anstreicher sei, und das Deckenstreichen, damit sei jetzt Schluss, denn sobald er auf der Leiter stehe, werde ihm sofort schwindlig, und jetzt könne er nur noch Gelegenheitsarbeiten machen. »Und Sie, was haben Sie für einen Beruf?« – »Geiger«, sagt Solal. »Das ist eine Naturbegabung, die hat man, oder man hat sie nicht«, sagt der Alte. Das Gespräch setzt sich fort, wird freundschaftlich. Ja, von jetzt an nur noch flüchtige Freundschaften. Eine Viertelstunde mit einem Unbekannten, und dann Schluss. Sei’s drum, begnügen wir uns mit den Krumen, hören wir uns den alten Trottel an. Seit über einem Jahr redet er nur noch mit ihr. »Wissen Sie, der Franzose ist Individualist«, sagt der Alte. Auch das ist Freundschaft. Der gute Mann kramt das Beste hervor, was er in seinem kleinen Schädel hat, ein Luxuswort, das er gelesen oder von einem Kumpel gehört hat. Er stellt es aus, ergötzt sich daran. Es ist schön, über Worte einer höheren Klasse zu verfügen. »An all dem sind die Juden schuld«, sagt der Alte, messerscharf schließend. Natürlich, das musste ja kommen. Der arme Unschuldige. Wie ein umgedrehter Taschendieb steckt er dem Alten unbemerkt einen Geldschein in die Tasche, während dieser ganz unbefangen die Missetaten der Juden aufzählt. Er steht auf, drückt die schwielige Hand, lächelt den blauen Augen zu und geht. Dieser Philosoph Sartre hat irgendwo geschrieben, der Mensch sei absolut frei, moralisch verantwortlich. Bürgerliche Idee, Idee eines Geschützten, eines Beschirmten.
Straßen, Straßen. Plötzlich zwei zertrümmerte Wagen, ein Polizist, der den Unfall aufnimmt, Schaulustige, die über den Unfall diskutieren. Er hört zu, mischt sich in die Diskussion ein, schämt sich, so tief gesunken zu sein, aber es tut gut. Eine Gruppe ist anonym, sie ist kein Individuum, das man durchschaut und das einen erstarren lässt. Und es ist Gesellschaft. Man ist dabei, man gehört dazu, man gibt seinen Senf dazu, man ist sich über die Ursache des Unfalls einig, man lächelt sich zu, man ist unter Gleichgestellten, man verbrüdert sich, man zieht über den verantwortlichen Fahrer her, man liebt sich.
Die Gruppe hat sich aufgelöst. Aus mit der Liebe. Er setzt seinen Weg fort, durchquert eine Grünanlage. Ein Baby torkelt
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