Die Schöne des Herrn (German Edition)
Gold gekleidete Lade der heiligen Gebote, und er war in Israel, mit seinen Brüdern.
***
Nachdem sie das Badezimmer betreten hatte, klappte sie den weißlackierten Sitz herunter, besann sich aber. Nein, er könnte es hören. Sieh mal an, ich bemühe mich immer noch, ihm nicht zu missfallen. Sie warf sich einen Morgenrock über ihre Schulmädchenverkleidung, ging auf den Flur hinaus, stieß die Tür einer der Etagentoiletten auf, schob den Riegel vor, zog den Morgenrock hoch, setzte sich auf die weißlackierte Brille, stellte das Ätherfläschchen, das sie mir genommen hatte, auf den Boden, stand auf, zog die Spülung, blickte auf den kleinen Wasserfall im Porzellanbecken, setzte sich wieder, nahm ein Blatt Toilettenpapier, faltete es einmal und dann noch einmal. O der Garten Tantléries, die kleinen rosa Lampions des ephebenhaften Quittenbaums, der gespaltene Mirabellenbaum, das mahagonifarbene Harz, das herausgequollen war und das sie mit ihren Fingern zu Kügelchen geknetet hatte, die Bank an dem kleinen Brunnen, der immer leicht gesprudelt hatte und an dem die Meisen getrunken hatten, die alte grüne, vom Regen verwaschene Bank, sie hatte es geliebt, kleine grüne Splitter abzubrechen. O der Garten Tantléries, der liebe alte Mammutbaum, der sich selbst in den Schlaf gewiegt hatte, die drei blühenden Zweige des Aprikosenbaums, die sich in der Fensterscheibe gespiegelt hatten, der Regenpfeifer mit seinem eintönigen Schrei. O der Sommerregen im Garten, der Rhythmus der Dachrinne, wenn es geregnet hatte, das sich von der Traufe auf die Zeltleinwand ergießende Wasser, der große Fleck, der sich dort gebildet hatte, o dieses kräftige, sehr rhythmische Geräusch, das sich aus dem langen Rauschen des Sommerregens wie ein Solo aus einem großen Orchester herausgelöst hatte, und sie hatte ihm lange gelauscht, hatte glücklich dem Regen gelauscht.
»Ich war glücklich«, murmelte sie, auf der Brille sitzend.
Sie nahm ein weiteres Blatt Toilettenpapier, drehte es zu einer Tüte, ließ sie durch die Luft segeln, stand auf und betrachtete sich im Spiegel. Sie war kein kleines Mädchen mehr. Diese beiden angedeuteten Falten um die Mundwinkel. Sie setzte sich wieder auf die weißlackierte Brille, bückte sich und hob die Tüte auf. »Tss, ich bitte dich, Ariane, du führst dich ja auf wie ein Straßengör.« Das hatte Tantlérie gesagt, als sie sich auf der Straße eine Tüte Pommes frites hatte kaufen wollen, hatte es ihr auch gesagt, als sie Zwanzigcentimemünzen in den Automaten auf dem Bahnhof Cornavin hatte werfen wollen. O ihre Kindheit. Mit dreizehn ihre Schwärmerei für den jungen Pastor Ferrier, der den Pastor Oltramare im Katechismusunterricht vertreten hatte. Und wenn ihr Lieblingskirchenlied gesungen wurde, sang sie statt »Ehre sei Jesus, Ehre in Ewigkeit!« »Ehre sei Ferrier, Ehre in Ewigkeit!«, und niemand merkte es. Und bei der Stelle »Jesus ist mein höchster Freund, o welche Liebe!« sang sie »Ferrier ist mein höchster Freund, o welche Liebe!«, und niemand merkte es. Als der Religionsunterricht vorbei war, hatte sie ihm einen Brief geschickt, der mit den Worten endete: »Dank Ihnen bin ich nun bekehrt«, und unterschrieben hatte sie einfach nur mit »Eine dankbare Katechume«. All das, und letzte Nacht Ingrid. Welch ein Unsinn, so lange auf dieser Brille sitzen zu bleiben. Weil ich Angst habe. Eins der ersten Fotos von ihr, ein zahnloses Baby in einem Zuber unter einem Baum des Gartens, das mit seinem ganzen Zahnfleisch lächelte. Ein weiteres Foto als Zweijährige, ein bisschen dicklich, im Gras sitzend, halb unter den Margeriten verborgen, die höher als sie waren. Ein anderes, sie rittlings auf dem großen Bernhardiner der Candolles. Als Siebenjährige mit ihrem Cousin André, der sie schlug. Mariette hatte ihr gesagt, sie solle sich verteidigen, sie sei doch ebenso stark wie ihr Cousin. Am nächsten Tag hatte sie sich verteidigt, hatte André verhauen und war siegreich und mit zerrissenem Kleid nach Hause gekommen. Das Foto von ihr und Éliane in maurischen Kostümen für ein Kinderfest bei den Cousins de Lulle.
»Ich war glücklich«, murmelte sie, auf der Brille sitzend, und sie bückte sich, um das Ätherfläschchen zu nehmen, atmete tief ein und lächelte der eindringenden kalten Luft zu. »Es friert zum Steinerweichen«, sang sie leise auf die Melodie von einst, eine Melodie aus ihrer Kindheit, und sie schluchzte, ein kurzes, heftiges, gewolltes, schreckliches Schluchzen. O die Spiele
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