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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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Liebe, Drecksmarsch der Liebe.

CIV

    Spät am Abend kam sie zu ihm, ging zum Bett und fragte, ob sie bleiben dürfe. Er bedeutete ihr, sie solle sich neben ihn legen, nahm ihr das Ätherfläschchen aus der Hand, öffnete es und atmete tief ein. Ohne ihren Morgenrock auszuziehen, streckte sie sich neben ihm aus. Er löschte das Licht und fragte sie, ob sie Äther wolle. In der Dunkelheit griff sie tastend nach dem Fläschchen, atmete tief ein, atmete ein zweites Mal ein, und plötzlich drangen aus dem Ballsaal Rufe zu ihnen herauf, Hawaii-Gitarren ließen widerstrebend ihre gedehnten reinen Schluchzer erklingen, die aus dem Herzen kamen, süße langgezogene Schluchzer, flüssige Seelenmörder, unendliche Schluchzer des Abschieds. Es war die Musik des ersten Abends, die gleiche Musik, und sie hatte sich über ihn gebeugt, hatte ihn angeblickt, eiskalt, zitternd vor Liebesschreck. Sie lauschte, das Ätherfläschchen an sich pressend wie ein Kind.
    Sie atmete noch einmal ein, schloss die Augen und lächelte. Jetzt spielte man unten einen Walzer, ihren ersten Walzer. Feierlich tanzten sie, ganz mit sich selbst beschäftigt, und kosteten einander, sorgfältig, gründlich, verloren. Gehalten und geführt, vergaß sie die Welt, lauschte dem Glück in ihren Adern und bewunderte sich zuweilen in den hohen Wandspiegeln, elegant, bewegend, außergewöhnlich, geliebte Frau, die Schöne ihres Herrn.
    Er nahm ihr das Ätherfläschchen aus der Hand und hielt es sich an die Nase. Die erste Zeit, das wahnsinnige Glück, wenn er sich vorbereitet hatte, um zu ihr zu gehen, die Herrlichkeit, sich für sie zu rasieren, sich für sie zu baden, und im Wagen, der ihn zu ihr gebracht hatte, hatte er seinen Sieg besungen, geliebt zu werden, und diesen Geliebten im Rückspiegel betrachtet, glücklich über seine perfekten Zähne und ihnen zulächelnd, glücklich über seine Schönheit und darüber, zu ihr zu fahren, zu ihr, die ihn in großer Liebe auf der Schwelle und unter den Rosen erwartet hatte, ihn in ihrem weißen Kleid mit den weiten Ärmeln, die sich eng um ihre Handgelenke schlossen, erwartet hatte. »Woran denkst du?«, fragte sie. »An dein rumänisches Kleid«, sagte er. »Es gefiel dir, nicht wahr?«, fragte sie. »Es stand dir so gut«, sagte er, und im Dunkeln holte sie tief Luft, wie damals, wenn er ihr Komplimente gemacht hatte. »Ich habe es immer noch, es ist in meinem großen Koffer«, sagte sie, knipste das Licht an, um ihn anzusehen, und fuhr ihm leicht mit dem Finger über die Linie der Brauen.
    Sie griff wieder nach dem Ätherfläschchen, atmete ein und lächelte. Am ersten Abend, als sie mit ihm getanzt hatte, hatte sie den Kopf zurückgeneigt, um ihn besser sehen zu können, während er ihr Wunder zugeflüstert hatte, die sie nicht immer verstanden hatte, denn sie war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, ihn zu betrachten. Doch als er ihr gesagt hatte, sie seien Verliebte, da hatte sie verstanden, hatte vor Glück leise gelacht, und er hatte zu ihr gesagt, er sterbe vor Verlangen, ihre langgeschwungenen Wimpern zu küssen und zu segnen. Und jetzt, jetzt.
    Sie atmete Äther ein und lächelte der süßen Kälte zu, die in sie eindrang. O der kleine Salon des ersten Abends, ihr kleiner Salon, den sie ihm unbedingt sofort hatte zeigen wollen nach dem Ritz. Vor dem offenen Fenster hatten sie die Sternennacht geatmet, dem Rauschen der Blätter an den Bäumen gelauscht, dem Flüstern ihrer Liebe. »Immer«, hatte sie zu ihm gesagt. Und dann der Choral, den sie für ihn gespielt hatte. Und dann das Sofa, die Küsse, die ersten wahren Küsse ihres Lebens. »Deine Frau«, hatte sie ihm bei jeder Pause, jedem Atemholen gesagt. Unermüdlich hatten sie sich mitgeteilt, dass sie sich liebten, hatten glücklich gelacht, ihre Münder vereint und wieder voneinander gelöst, um sich wieder und wieder die herrliche Nachricht zu verkünden. Und jetzt, jetzt.
    Sie atmete Äther ein und lächelte. O die Anfänge, ihre Zeit in Genf, die Vorbereitungen, ihr Glück, für ihn schön zu sein, das Warten, sein Kommen um neun Uhr, und sie hatte immer auf der Schwelle gestanden, um ihn zu erwarten, voller Ungeduld und jugendlicher Gesundheit, um ihn auf der Schwelle und unter den Rosen zu erwarten, in ihrem rumänischen Kleid, das ihm so gefiel, dem weißen Kleid mit den weiten Ärmeln, die sich eng um ihre Handgelenke schlossen, o die Begeisterung des Wiedersehens, die Abende, die Stunden, in denen sie sich angeblickt, geplaudert, sich

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