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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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blickend, mit geballten Fäusten. Zitternd vor Wut, biss er sich auf die Lippe. So weit war es also gekommen, er bat sie um einen bescheidenen Bauchtanz, einen einfachen Bauchtanz, und sie weigerte sich! Aber mit dem anderen war sie zum Schoßtanz bereit gewesen, wann und sooft es dem anderen beliebt hatte! O das gekonnte Hin und Her ihrer Lenden und Hüften unter dem weißmähnigen Schimpansen, und wie sie sich an seine Mähne geklammert hatte! O die beiden Scheusale! O diese Hündin und ihr Hund, diese beiden keuchenden Tiere, ihr schwitzendes Aufeinanderprallen, ihre Gerüche, ihre Ausflüsse.
    Sie hustete, und er sah sie. So jämmerlich, die einst hechelnde Hündin, von Dietsch zum Orgasmus gebracht, bleich und abgezehrt da vor ihm, zu Tode erschöpft und mit geballten Fäusten, arme kleine tapfere Fäuste, so jämmerlich mit ihrem Regenmantel, ihrem Unterrock, den heruntergerutschten Strümpfen, der geröteten Nase, den von Tränen geschwollenen Lidern, den schönen, kränklich blau umschatteten Augen. Seine Liebste, seine arme Liebste. O verfluchte Liebe der Körper, verfluchte Leidenschaft.

SIEBENTER TEIL

CIII

    Der Kronleuchter verbreitete noch immer sein tristes Licht im Zimmer, als die Mittagssonne durch die zugezogenen Vorhänge hereindrang. Reglos im Bett liegend, die Augen weit geöffnet, lauschte er den Geräuschen der Lebenden draußen und folgte den kleinen emsigen Schatten, die über den Vorhängen mit den Füßen nach oben und den Köpfen nach unten auf der Zimmerdecke vorbeihuschten, winzige Gestalten unterwegs zu ehrbaren Beschäftigungen. Da war er nun wieder in Genf, wieder im Ritz.
    Ängstlich darauf bedacht, sie nicht zu berühren, beugte er sich über sie, um sie anzuschauen, dieses absurde geschminkte kleine Mädchen, das da neben ihm schlief oder sich schlafend stellte, vollgepumpt mit Äther, kläglich mit ihrem kurzen Tennisrock, der die Schenkel nur halb bedeckte, ihren nackten Beinen, ihren Socken, ihren Pantoffeln, um sich klein zu machen, ihren kindlichen Korkenzieherlocken und ihrer rosa Schleife im Haar.
    Er nahm das Ätherfläschchen, das sie an sich gepresst hielt, öffnete es und atmete ein. Sie drehte sich um, murmelte, sie wolle auch was, nahm ein paar Züge und gab ihm die Flasche zurück. »Schau mich nicht an«, murmelte sie, kuschelte sich wieder zusammen und schloss die Augen. O die Ferien in den Bergen mit Éliane, das Chalet, die hämmernden Schläge auf die Sensen. O diese hellen Klänge aus der Ferne, reine Klänge in der diamantenen Luft, sommerliche Klänge, Klänge der Kindheit.
    Sie richtete sich auf, besorgt, ihn nicht zu berühren, blickte auf den kleinen Wecker, nahm den Hörer ab und bestellte das Mittagessen. Nein, keinen Tisch, nur ein Tablett, vielen Dank. Sie hängte auf, nahm ihm wieder das Ätherfläschchen weg, atmete, die Augen geschlossen, tief ein und gab sich ganz der in sie eindringenden süßen Kälte hin. Gestern auf der Straße hatte die Kanakis sie neugierig angesehen, ohne sie zu grüßen. Und neulich hatte ihre Cousine Saladin so getan, als sähe sie sie nicht. Sie hatten zusammen gespielt, als sie klein waren. Die Puppe, die ich ihr geliehen habe, hat sie mir nie zurückgegeben. Sie anrufen und sie daran erinnern?
    »Lassen Sie das Tablett vor der Tür, ich hole es.«
    Sie stand auf, öffnete, nahm das Tablett, stellte es auf das Bett und legte sich wieder hin. Mit möglichst großem Abstand voneinander aßen sie schweigend im erstickenden Halbdunkel, während eine dicke Fliege blöde im Zickzack vor ihnen herumschwirrte, mit einem unerträglichen Überlegenheitsgefühl summend, wütend, trotzig und unverschämt, überzeugt, im Recht zu sein, hocherfreut, aufdringlich zu sein. In der Stille quietschten Messer und Gabeln hin und wieder auf den Tellern, ein Glas klirrte manchmal, und die beiden kauten mit den kleinen erniedrigenden Geräuschen des Zerkleinerns. Vor ihnen traf ein Sonnenstrahl, in dem flimmernde Staubkörnchen langsam tanzten. Sie bewegte das Knie, um das Tablett zu verschieben und den Lichtkreis auf die Zimmerdecke zu projizieren. Éliane, die Spiele ihrer Kindheit. Sie hatten sich einen Spaß daraus gemacht, sich gegenseitig mit Taschenspiegeln zu blenden, und es Sonnenschlachten genannt.
    Nach wie vor darauf bedacht, ihn nicht zu streifen, stand sie auf in ihrer Schulmädchenverkleidung, die Schminke verlaufen, und stellte das Tablett auf den Boden, während er, im Bett geblieben, den von Ingrid Groning vergessenen

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