Die Schöne des Herrn (German Edition)
gesellschaftlichen Ranges majestätisch wie ein Kürassier in die Küche. Kaum hatte sie die Aushilfe erblickt, einen schlecht rasierten fünfzigjährigen Mann, der gerade seinen Frack aus einem Pappkoffer nahm, witterte sie schon einen Feind in ihm und beschloss, ihn sofort auf Trab zu bringen.
»Das Diner wird um acht Uhr serviert. Unser Gast kommt um halb acht. Es ist der Herr Untergeneralsekretär des Völkerbundes. Wenn Sie die Tür öffnen, benehmen Sie sich, wie es sich vor einer hohen Persönlichkeit geziemt. (Der Mann blieb unbeeindruckt, und sie fand, dass er heimtückisch aussah. Um ihn sogleich in seine Schranken zu weisen und ihm zu zeigen, mit wem er es zu tun hatte, reichte sie ihm eine der Menükarten. Als er sie gelesen hatte, legte er die Karte wortlos und unbeeindruckt auf den Tisch. Was für ein unverschämter Kerl! Wenn er Trinkgeld will, da kann er lange warten.) Nur der Kaviar steht nicht auf dem Menü, weil wir ihn extra bestellt haben, es wird alles um sechs Uhr von Rossi geliefert, einer sehr angesehenen Firma.«
»Ich kenne sie, Madame.«
»Der Angestellte von Rossi wird sich darum kümmern, das Essen kurz vor dem Servieren aufzuwärmen. Sie haben also nur zu servieren.«
»Natürlich, Madame. Das ist ja mein Beruf.«
»Sie können schon den Tisch decken, so wie es sich gehört, natürlich. Wir wir werden zu fünft sein, einschließlich des Herrn Untergeneralsekretärs. Ich habe dem Zimmermädchen den Schlüssel des Esszimmers gegeben, sie wird Ihnen helfen. Die Servietten wie gewöhnlich, in Fächerform.«
»Pardon, Madame?«
»Zu Fächern gefaltet, sage ich, so wie wir es immer halten, wenn wir Gäste empfangen.«
»Zu Fächern gefaltet? Sehr wohl, Madame. Ich möchte Madame allerdings darauf aufmerksam machen, dass das schon seit langem nicht mehr üblich ist. Für das Mittagessen wird die Serviette einfach gefaltet und auf den Teller gelegt. Für das Abendessen wird sie auf den kleinen Brotteller gelegt, ebenfalls einfach gefaltet und um das Brötchen geschlungen, links von dem bereits servierten Suppenteller. Jedenfalls hat man das bei seiner Königlichen Hoheit, dem Herzog von Nemours, immer so gehalten, dem ich die Ehre hatte, zehn Jahre zu dienen. Aber wenn Madame wünscht, kann ich ihre Servietten in jede beliebige Form falten, Fächer, Sonnenschirm, Portefeuille, Speichenrad, Schwan oder sogar Kamel. Wie Madame wünscht. Ich stehe zu ihren Diensten.«
»Solchen Kleinigkeiten messe ich keine Bedeutung bei«, sagte Frau Deume mit hochrotem Gesicht. »Halten Sie es, wie Sie wollen. Das sind Lappalien.«
Das Gebiss vorgeschoben, schritt sie mit dem majestätischen Gebaren der Besitzenden hinaus, mit Würde gepanzert und erhobenen Hauptes, und berührte dreimal ihr Hinterteil, als wollte sie es streicheln, eine unwillkürliche Geste, die wohl dazu bestimmt war, sich zu vergewissern, dass sie sich wieder in einen anständigen Zustand gebracht hatte und ihr Kimono nach dem Aufenthalt auf dem stillen Örtchen, das ihr Mann den »Lokus« oder auch »den Ort, wo selbst der König zu Fuß hingeht« nannte, nicht hängengeblieben war.
»So ein Quatsch, ihr Menü«, sagte die Aushilfe zu Martha. »So was hab ich noch nicht erlebt! Bisque, Hummer, und obendrein noch Kaviar, wie es scheint! Und dann Kalbsbries und Schnepfen und auch noch Gänseleber! Ein bunt zusammengewürfeltes Sammelsurium, man sieht gleich, dass die Leute keine Ahnung haben. Ein Diner muss doch logisch zusammengestellt werden. Und ein gedrucktes Menü für fünf Gedecke! Dass ich nicht lache! Und dann lässt man mich um halb sechs kommen, für ein Diner um acht! Was man sich nicht alles bieten lassen muss!«
Als er ein gerahmtes Schild über dem Spültisch erblickte, setzte er sich die Brille auf, ging näher heran und las aufmerksam das kleine literarische Werk, das Herr Deume im Auftrag von Madame in schöner runder Kalligraphie abgeschrieben hatte und das das Mädchen jeden Morgen lesen musste.
In der Küche, spät und frühe
schaut uns Gottes Auge an.
Scheu’n wir darum keine Mühe,
und der Lohn kommt von Ihm dann:
Brot und Speise auf dem Tisch,
froh, gesund auf allen Wegen.
An die Arbeit, Mädchen, frisch!
Gute Saat bringt Erntesegen!
(Verse von Madame T. Combe)
»Dieses Gedicht ist also für Sie bestimmt?«
»Ja, Monsieur«, sagte Martha und verbarg schamhaft mit ihrer Hand ein zahnloses Lächeln.
Er setzte sich, schlug die Beine übereinander, nahm seine Zeitung und las die
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