Die Schöne des Herrn (German Edition)
Tatsache ist was?«
»Was du gesagt hast.«
»Hippolyte, ich muss zu meinem Bedauern feststellen, dass du mir, was dieses Geschöpf betrifft, nie eine befriedigende Antwort gibst.«
»Aber ja, Ssätzchen, das tue ich doch.«
»Dann erklär mir bitte, was du meinst.«
»Na ja, ich meine eben, dass du recht hast.«
»Worin recht?«
»Dass sie ein Früchtchen ist«, sagte der Unglückliche und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Na endlich, das hat aber gedauert. Der arme Junge hat sich einwickeln lassen! Und nur, weil wir nicht da waren, als er ihre Bekanntschaft gemacht hat. Denn du kannst mir glauben, diese Ehe wäre nicht zustande gekommen, wenn ich da gewesen wäre! Ich hätte ihm noch rechtzeitig die Schuppen von den Augen genommen, und dann wäre er nicht in die Falle getappt!«
»Sehr richtig«, sagte Herr Deume und nahm sich vor, seiner Schwiegertochter gleich morgen ein Geschenk zu kaufen, einen hübschen Brieföffner aus Elfenbein, den er ihr heimlich zustecken würde.
»Und was sagst du zu diesem Einfall, heute nicht zum Abendessen herunterkommen zu wollen?«
»Was willst du, vielleicht ist sie krank …«
»Wenn sie krank wäre, würde sie nicht splitternackt Chopin spielen! Ich stelle fest, dass du sie wieder mal in Schutz nimmst!«
»Aber durchaus nicht, mein Ssatz.«
»Na, dann hoffe ich, dass du es auch gut finden wirst, wenn ich eines Tages splitternackt Chopin spiele!«
»Aber ich finde doch gar nichts gut.«
»Ich bin natürlich keine d’Auble! Ich bin nur aus einer Familie, in der es niemals einen Skandal gegeben hat! Und ich weiß, wovon ich rede! (Sie hielt sich das Riechfläschchen an die Nase und warf ihm einen vernichtenden Blick zu.) Es hat eine d’Auble gegeben, die zu ihrer Zeit so einiges getrieben hat! Mehr will ich nicht sagen, um mir nicht den Mund zu verbrennen! (»Und deine Swester mit dem Apotheker?«, wagte Herr Deume sie in Gedanken zu fragen.) Übrigens ist sie gar nicht krank! Das sagt sie nur, um uns zu ärgern, um uns zu zeigen, dass eine d’Auble sich von dem Besuch einer hervorragenden Persönlichkeit nicht beeindrucken lässt.«
»Die noch dazu siebzigtausend Goldfranken im Jahr verdient«, sagte Herr Deume, bestrebt, sich ihre Gunst zu erwerben.
»Darum geht es nicht. Er ist eine hervorragende Persönlichkeit. Und das wäre er auch, wenn er nichts verdiente.«
»Natürlich«, stimmte Herr Deume zu. »Weißt du was, ich werde mal mit Ariane reden.«
»Um ihr Schmeicheleien zu sagen? Das verbiete ich dir, hörst du! Es kommt nicht in Frage, dass Herr Hippolyte Deume sich vor einer kleinen eingebildeten Pute demütigt, die eine Verwandte hat, die, nun ja, ich weiß, was ich weiß! Wenn sie nicht zum Essen kommt, dann werden wir eben auf ihre Gesellschaft verzichten! Gott sei Dank ist ja noch Didi da, um Konversation zu machen.«
»Und du ja auch, Ssätzchen, in Konversation nimmst du es mit jedem auf«, sagte der kleine Feigling. »Du weißt immer die richtige Antwort. Und du hast Ssarme.«
Sie seufzte leise, machte ihr vornehm melancholisches Gesicht und stellte das Riechfläschchen auf den Tisch.
»Denken wir nicht mehr an diese Person, sie ist es nicht wert. Komm, lass mich dir die Fliege richten, sie ist ganz schief.«
»Aber sag mal, warum hast du dein hübsses Abendkleid wieder ausgezogen, es ssteht dir doch so gut?«
»Ich habe festgestellt, dass es hinten zerknittert war, Martha bügelt es gerade.«
Als sie es an der Eingangstür läuten hörte, warf sie sich eiligst einen Kimono mit flammenspeienden Drachen über und lief zur Treppe. Die warzigen Hände auf das Geländer gestützt, beugte sie sich hinunter und fragte, wer da sei. Das Dienstmädchen stand zerzaust, verschwitzt und mit weit aufgerissenen Augen auf der vorletzten Stufe und meldete, es sei »ter Herr wegen tem Tiner«. Im gleichen Augenblick klingelte der Wecker, und Frau Deume verstand.
»Sie meinen den Oberkellner?«
»Ja, Matame.«
»Er soll warten. Hören Sie, Martha«, fügte sie mit leiser Stimme hinzu, »vergessen Sie nicht, was ich Ihnen gesagt habe, weichen Sie ihm nicht von der Seite. Verstanden?«
Nach kurzem Aufenthalt auf dem stillen Örtchen, wie sie es nannte, ging sie hinunter, als es gerade halb sechs auf der Neunburger Uhr schlug, dem ganzen Stolz von Herrn Deume, der sich etwas darauf einbildete, dass Napoleon diese Uhr während einer Reise in die Schweiz aufmerksam betrachtet haben soll. Frau Deume trat im vollen Bewusstsein ihres
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