Die Schöne des Herrn (German Edition)
erklärte sie mir, um mich zu bekehren, dass Napoleon an Gott geglaubt habe und ich folglich auch an ihn glauben müsse. All das sind Versuche, mich zu beherrschen. Ich hasse sie. Sie ist keine Christin, sie ist das genaue Gegenteil. Sie ist eine Kuh und ein Kamel. Onkel Agrippa, ja, der ist ein wahrer Christ. Ein vollendet guter Mensch, ein Heiliger. Die wahren Protestanten sind doch das Beste, was es gibt. Es lebe Genf! Auch Tantlérie war gut. Ihr Glaube war ein bisschen alttestamentarisch, aber edel und aufrichtig. Und außerdem hat die Deume eine entsetzliche Art zu sprechen. Statt verschwenden sagt sie verschweigen, statt hübsch sagt sie höbsch, statt Milieu sagt sie Mijöh, statt Bissen sagt sie Häppchen, statt bitte sagt sie bütte. Und all die ›nun ja‹, die sie überall anbringt.
Ich muss in meinem Roman auch von ihrem Talent sprechen, mit einem Lächeln perfide Bemerkungen zu machen, nachdem sie sich vorher ausgiebig geräuspert hat. Wenn sie sich räuspert, dann weiß ich, dass eine honigsüße Bosheit im Anzug ist. Gestern früh zum Beispiel gehe ich gerade die Treppe hinunter, als ich plötzlich das entsetzliche Klappern ihrer Stiefel höre. Sie ist auf dem Treppenabsatz im ersten Stock! Zu spät, ihr auszuweichen! Sie nimmt mich am Arm, sagt, sie habe mir etwas Interessantes zu erzählen, führt mich in ihr Zimmer und bittet mich, Platz zu nehmen. Ein Räuspern, dann das grauenvolle strahlende Lächeln eines Gotteskindes, und dann fängt sie an: ›Meine Liebe, ich muss Ihnen etwas so Goldiges erzählen, ich bin sicher, dass es Ihnen Freude machen wird. Stellen Sie sich vor, gerade eben, bevor Adrien ins Büro ging, kam er zu mir, setzte sich auf meinen Schoß, nahm mich in seine Arme und sagte: Liebste Mammi, du bist mir das Teuerste auf der Welt. Ist das nicht höbsch, meine Liebe!‹ Ich warf ihr nur einen Blick zu und ging aus dem Zimmer. Hätte ich ihr gesagt, dass sie mich anwidere, weiß ich genau, was gefolgt wäre. Sie hätte sich mit der Hand ans Herz gefasst wie eine den Löwen vorgeworfene Märtyrerin und hätte mir gesagt, sie würde mir verzeihen und sogar für mich beten. Was für ein Glück immerhin für diese boshafte Ziege, dass sie eisern an das ewige Leben glaubt und sich einbildet, sie würde dann ewig um Gottvater herumschwirren. Sie behauptet sogar, sie freue sich auf den Tod, was sie in ihrem Jargon ›den Marschbefehl erhalten‹ nennt.
Noch ein paar Details in Hinblick auf meinen Roman. Die Deume ist eine geborene Antoinette Leerberghe aus Mons in Belgien. Nach dem Tod ihres Vaters, ich glaube, er war Notar, einige Schicksalsschläge. Mit vierzig Jahren, wenig Fleisch und wenigen sonstigen Reizen, aber vielen Knochen und Warzen, gelang es ihr, sich von dem braven und schwachen Hippolyte Deume ehelichen zu lassen, einem bescheidenen Kleinbürger, der aus dem Waadtland stammte und ehemaliger Buchhalter einer Privatbank in Genf gewesen war. Ursprünglich Belgierin, erhielt sie die Schweizer Staatsbürgerschaft durch ihre Heirat mit dem netten kleinen bärtigen Hippolyte. Adrien ist Antoinettes Neffe. Ihre Schwester, die Mutter Adriens, hatte einen belgischen Zahnarzt namens Janson geheiratet. Adrien war noch ganz klein, als seine Eltern starben, und seine Tante übernahm mutig die Mutterrolle. Von einer Frau Rampal, deren Gesellschaftsdame sie war und die einen großen Teil des Jahres in Vevey verbrachte, erbte sie eine Villa in jener kleinen Stadt. Aus diesem Haus machte sie ein Erholungsheim für fromme Menschen und Vegetarier. Um sich abzulenken, kam der damals fünfundfünfzigjährige Hippolyte Deume, Besitzer eines kleinen Mietshauses in Genf, nach dem Tod seiner Frau zu einem Erholungsaufenthalt dorthin. Antoinette kümmerte sich ausgiebig um ihn und pflegte ihn, als er krank wurde. Nach seiner Genesung brachte er ihr einen Blumenstrauß. Die vierzigjährige Jungfer war einer Ohnmacht nahe, sank dem verblüfften kleinen Mann in die Arme und flüsterte, sie gäbe ihm ihr Jawort, weil sie spüre, dass es Gottes Wille sei. Dank der Protektion eines entfernten Cousins der Deumes, eines Van Offel, der im belgischen Außenministerium eine wichtige Rolle spielte, wurde Adrien, der in Brüssel Literatur studierte, in das Sekretariat des Völkerbundes in Genf berufen. Ich vergaß zu erwähnen, dass die Deumes einige Jahre vorher das liebe Waisenkind adoptiert hatten, das nun Adrien Deume hieß.
Ich vergaß auch zu erwähnen, dass Mutter Deume, kurz nachdem sie sich in Genf
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