Die Schöne des Herrn (German Edition)
bemalt sind, du erinnerst dich doch noch, als wir im Januar zum Tee da waren. Sie hat dankbar angenommen, hat mir tausendmal gedankt und war ganz gerührt. Ich bin froh, auf diese Idee gekommen zu sein, denn eine Wohltat geht niemals verloren. Ich sagte ihr also, ich würde ihr Martha sofort bringen, denn das arme Mädchen kann ja nicht allein den Weg zu dem herrlichen Landhaus der Ventradours finden. Und spontan, wie sie nun einmal ist, rief sie gleich, hören Sie, kommen Sie doch mit Ihrem Mann zum Mittagessen, ganz ungezwungen, wir essen, was gerade da ist. Was gerade da ist, wer’s glaubt, bei ihr ist ja immer alles perfekt, und wie die liebe Ruth Granier sagt, gibt es bei ihr nur Auserlesenes. Und nach allen Regeln der Kunst serviert! So sind wir also richtig eingeladen! Wie bitte? Um ein Uhr, du weißt doch, dass solche Leute ihren Lontsch immer um ein Uhr einnehmen. Ich muss sagen, ich bin sehr froh, dass Martha heute Nachmittag beschäftigt ist, denn sie hätte nicht viel zu tun gehabt, mit der Waschmaschine ist ja jetzt immer schon alles am Vormittag erledigt, so kann sie mal was lernen, wenn sie das geschulte Personal eines großen Hauses erlebt. Ich habe ihr zu verstehen gegeben, sie könne sich geehrt fühlen, die Fenster einer Schlossherrin zu putzen. Natürlich wird sie auf dem Weg zum Taxistand ein paar Schritte hinter uns gehen müssen, schon wegen der Nachbarn. Ich werde es ihr sehr nett beibringen. Außerdem würde sie sich nur genieren, wenn sie neben uns gehen müsste, sie weiß ja, dass sich das nicht gehört. Also, mit dieser guten Nachricht muss ich dich jetzt verlassen, mein Schatz, ich muss mich noch umziehen, die liebe Ruth Granier anrufen und auch Papis Anzug kontrollieren und ihm ein paar Ermahnungen mit auf den Weg geben, besonders wegen der Suppe, die er immer so laut schlürft. Übrigens hat sich Madame Ventradour sehr nett nach dir erkundigt, und was ich ihr über deine offiziellen Verpflichtungen erzählt habe, hat sie sehr interessiert, ich kann ihr doch Grüße von dir ausrichten, nicht wahr? Wie bitte? Ihr deine Empfehlungen übermitteln? Du hast recht, das klingt feiner, sie ist ja so vornehm. Wie bitte? Gut, wie du willst. Ich werde sie rufen, sie sitzt natürlich wieder am Klavier, warte einen Augenblick. (Schweigen, dann wieder dieselbe Stimme.) Sie lässt dir ausrichten, sie könne nicht an den Apparat kommen, weil sie ihre Sonate nicht unterbrechen will. Ja, mein Schatz, genau das hat sie gesagt. Hör zu, mein Didi, mach dir nicht die Mühe nach Hause zu kommen, iss ruhig in
La Perle du Lac
, wo man sich wenigstens um dich kümmern wird. Und jetzt muss ich auflegen, wir müssen uns beeilen. Also auf Wiedersehen, mein Schatz, bis heute Abend, deine Mammi ist immer für dich da, du weißt ja, dass du auf sie zählen kannst.«
***
Er ging ins Zimmer zurück, legte sich auf das Bett und atmete den Duft des Eau de Cologne, während aus dem Salon Schumanns
Kinderszenen
heraufklangen. »Spiel, meine Schöne, spiel nur, du weißt nicht, was dich erwartet«, murmelte er und sprang auf. Schnell, die Verkleidung.
Er warf sich den alten ausgeblichenen Mantel über, der so lang war, dass er ihm bis zu den Knöcheln reichte und die Stiefel bedeckte. Dann setzte er sich die schäbige Pelzmütze auf und zog sie tief ins Gesicht, um das schwarze Ringelhaar zu verbergen. Vor dem Ankleidespiegel nickte er, zufrieden über sein elendes Aussehen. Aber das Wichtigste fehlte noch. Er rieb eine Art Lack über seine edlen Wangen, klebte sich den weißen Bart an und schnitt zwei Streifen schwarzes Heftpflaster zurecht, die er sich über die Vorderzähne klebte, mit Ausnahme eines rechten und eines linken Zahns, wodurch sein Mund bis auf die beiden Eckzähne völlig zahnlos wirkte.
Im Halbdunkel begrüßte er sich auf Hebräisch im Spiegel. Er war jetzt ein alter, armer und hässlicher Jude, dem es allerdings nicht an Würde mangelte. Schließlich würde er später mal so aussehen. Wenn er in zwanzig Jahren nicht schon unter der Erde verfaulte, gäbe es dann keinen »schönen« Solal mehr. Plötzlich erstarrte er und horchte. Schritte auf der Treppe, dann die Arie des Cherubino.
»Voi che sapete che cosa è amor.«
»Ja, Liebste, ich weiß, was Liebe ist«, sagte er. Er nahm den Koffer, machte einen großen Sprung und verbarg sich hinter den schweren Samtvorhängen.
II
Die Mozart-Arie summend, trat sie ein, küsste das Abbild ihrer Lippen im Spiegel und betrachtete sich lange. Nach einem
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