Die schöne Diebin
war ja nun wirklich mehr als dumm. Hast du geglaubt, du könntest es allein mit einer ganzen Dinnergesellschaft aufnehmen? Das Risiko, überwältigt zu werden, war enorm. Witherspoon ist gefährlicher, als du glaubst. Mir wird übel, wenn ich mir vorstelle, was geschehen wäre, wenn ich dich nicht vor ihm und seiner Waffe hätte warnen können.“
Mit einer dramatischen Geste breitete Nora die Arme aus. „Mein Held!“ Da er sie nach wie vor duzte, beschloss sie, ihn auch nicht mehr zu siezen. „Ich bin dir so dankbar. Du hast recht, ich bin viel zu dumm, um die Folgen meiner Unternehmungen abschätzen zu können. Es grenzt an ein Wunder, dass ich nicht schon vor Monaten gefasst wurde.“
„Mach dich nur über mich lustig!“, gab Brandon zornig zurück. „Ohne mich säßest du jetzt jedenfalls in St. Johns Keller und hättest viel Zeit, darüber nachzugrübeln, wie du dem Galgen entgehen kannst.“ Er trat zum Fenster und starrte in die Nacht hinaus. Es war wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren, solange er mit dieser hinreißenden, aber uneinsichtigen Frau zu tun hatte. „Warum bist du überhaupt zum Cheetham Hill gekommen? Du wusstest doch, dass man dir bei St. John auflauern würde.“
„Ach?“
„Ich selbst habe dich vor der Falle gewarnt.“
„Warum hätte ich dir glauben sollen?“ Ihre Stimme klang kalt und abweisend. „Vielleicht wolltest du die Katze nur dazu bringen, die Investoren nicht länger mit Einbrüchen zu verunsichern.“
Er wandte sich um. „Kennst du mich wirklich so schlecht? Glaubst du allen Ernstes, ich würde meine Zuflucht in billigen Tricks suchen?“
„Du bist immerhin nach wie vor entschlossen, diese Fabrik zu bauen. Warum solltest du, um dein Ziel zu erreichen, auf Tricks verzichten? Gut, es spricht für dich, dass du Lebensmittel für die Bedürftigen in Manchester gekauft hast. Aber du hast dafür auf nichts verzichten müssen.“
„Wenn ich nicht auf deiner Seite stünde, wäre ich das Risiko, dir zu helfen, nicht eingegangen. Hast du auch nur einen Gedanken darauf verwendet, in welche Gefahr ich mich gebracht habe, als ich dich vor Witherspoon warnte und mich von dir als Geisel nehmen ließ? Ich habe alles in meiner Macht Stehende getan, damit du dich in Sicherheit bringen konntest. Verflixt, was schließt du daraus?“
„Dass du ein Mann genau wie die anderen bist und für eine Frau, die du begehrst, beinahe alles tun würdest – natürlich nur, um sie zu bekommen.“
„Ha!“ Brandon bebte jetzt vor Zorn. „Und was ist mit dir? Könnte es nicht sein, dass du mich nur verführt hast, um herauszufinden, was ich plane, damit du meine Pläne dann zunichtemachen kannst?“
„Tja …“ Nora zuckte die Schultern. „Dann sind wir wohl beide nichts weiter als berechnende, doppelzüngige Schurken.“
Im ersten Moment war er zu schockiert, um etwas darauf zu erwidern. Er musste ein paarmal tief durchatmen, ehe er die Sprache wiederfand. Dann allerdings stellte er überraschend ruhig fest: „Dieser Meinung bin ich durchaus nicht. Aber nun will ich nicht länger mit dir streiten. Wir sind ja gar nicht so verschieden. Wir wollen doch im Grunde dasselbe.“ Die Formulierung gefiel ihm, denn sie konnte sich sowohl auf ihre politischen Ziele als auch auf ihre amouröse Affäre beziehen. Um Nora das deutlich zu machen, ging er langsam auf sie zu und begann mit einer ihrer dunklen Locken zu spielen. Das genügte, um sein Verlangen heiß auflodern zu lassen. Plötzlich konnte er nur noch daran denken, wie wundervoll es gewesen war, sie in den Armen zu halten.
Nora schien sich besser im Griff zu haben. Sie wollte sich nicht ablenken lassen. Schließlich war die Unterstützung der ausgebeuteten Arbeiterklasse ihr Lebensinhalt! „Wir sind Feinde“, erklärte sie. „Du willst diese Fabrik bauen. Ich will das verhindern. Davon, dass wir dasselbe wollen, kann ja wohl kaum die Rede sein.“
Er ließ die Fingerspitzen über ihre Wange wandern.
Unwillkürlich biss Nora sich auf die Unterlippe. Ein Schauer überlief sie. Ihr Atem beschleunigte sich. Der Ausdruck ihrer Augen hatte sich ebenfalls geändert. Sie war im Begriff, den Kampf aufzugeben. Auch in ihr erwachte die Leidenschaft.
Brandon wusste die Anzeichen zu deuten. Ah, Nora war eine so wunderbar sinnliche Frau! Aber sie war auch dickköpfig. Deshalb musste er viel Geduld mit ihr aufbringen. Nun, er war bereit, das zu tun. Schließlich wusste er, dass er am Ende als Sieger aus dieser Auseinandersetzung
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