Die schöne Diebin
aufgeseufzt. Nora trug eine Perücke. Noch also konnte niemand sie als Miss Hammersmith identifizieren.
„Ja. Und wie ich sehe, haben Sie sie verbunden. Ich hätte Sie für härter gehalten. Andererseits gab es schon in der Vergangenheit Anzeichen dafür, dass Sie eine ganz besondere Beziehung zu dieser Einbrecherin haben.“
„Was wollen Sie damit sagen?“ Brandon sprach leise, aber seine Stimme war eiskalt.
„Dass Sie womöglich mit der Verbrecherin unter einer Decke stecken.“
„Witherspoon, Sie sind ein Idiot!“ Das war Jack. „Wollen Sie selbst sich ins Unglück stürzen? Wissen Sie nicht, dass Stockport ein Mitglied des House of Lords ist?“
„Das ändert nichts daran, dass Stockport Hall nicht ausgeraubt worden ist.“
„Weil meine Sicherheitsvorkehrungen einfach besser waren“, erklärte Brandon kühl. „Und nun wollen wir endlich aufbrechen.“
Brandon hielt die noch immer bewusstlose Nora vor sich auf dem Pferd, als er, begleitet von den anderen, langsam nach Stockport-on-the-Medlock zurückritt.
Witherspoon hatte vorgeschlagen, die Diebin ins Gefängnis von Manchester zu bringen. Doch Brandon hatte dagegengehalten, dass es vernünftiger sei, die Verletzte zumindest für eine Nacht in Squire Bradleys Keller unterzubringen, der gelegentlich als Arrestzelle benutzt wurde. Da niemand anders als er der zuständige Friedensrichter war, setzte er sich durch.
„Morgen“, erklärte er mit lauter, befehlsgewohnter Stimme, „am frühen Nachmittag werden wir uns treffen, um darüber zu entscheiden, wie wir weiter vorgehen wollen. Bis dahin wünsche ich, dass die Gefangene nicht gestört wird. Ich selbst werde dafür sorgen, dass sie ärztliche Versorgung erhält. Auf keinen Fall möchte ich riskieren, dass sie an ihrer Wunde stirbt, ehe sie vor Gericht gestellt werden kann.“
20. KAPITEL
Langsam kam Nora wieder zu sich. Das Erste, was sie wahrnahm, waren Schmerzen, heftige Schmerzen, die ihre Schulter zu zerreißen schienen. Was war geschehen? Sie versuchte die Augen zu öffnen, fühlte sich jedoch selbst dazu zu schwach. Nachdenken war schon anstrengend genug. Dann fiel es ihr ein: Sie war angeschossen worden.
Jetzt erinnerte sie sich deutlich an die Geschehnisse. Wie man sie gestellt hatte, wie sie mit Brandons Hilfe geflohen war, wie einige Reiter die Verfolgung aufgenommen und schließlich einer von ihnen geschossen hatte. Witherspoon vermutlich, dieser Schurke! Trotz ihrer Verletzung hatte sie den Wald erreicht. Und gleich darauf war Brandon bei ihr gewesen. Noch nie hatte sie ihn so besorgt erlebt. Er hatte sie verbunden und geküsst. War er noch bei ihr?
Es gelang ihr endlich, die Lider zu heben. Um sie her herrschte Dunkelheit, über ihr allerdings war ein schmaler Lichtstreifen zu sehen. Also befand sie sich wohl in einem Keller. Aber dies war nicht das Erdloch von Old Grange. War es Brandon gelungen, sie irgendwo zu verstecken? Oder – sie erschrak – hatte man sie ins Gefängnis gebracht?
Panik wollte von ihr Besitz ergreifen. Sie kämpfte dagegen an, doch es blieb eine große Angst zurück. Wenn sie gefasst worden war, dann würde Witherspoon alles daransetzen, sie noch vor der Gerichtsverhandlung zu ermorden. Was konnte sie tun, um sich zu schützen? Gab es eine Möglichkeit zu entkommen? Konnte sie Brandon irgendwie erreichen, um ihm alles zu erzählen?
Sie bedauerte jetzt, ihn nicht eher eingeweiht zu haben.
Schon Weihnachten hätte sie ihn ins Vertrauen ziehen können oder während der Zeit, die sie in Stockport Hall verbracht hatte. Verflixt, warum hatte sie die Chance nicht genutzt? Jetzt mochte es bereits zu spät sein …
Mit Mühe drehte sie sich auf die Seite, und nach einer Weile vermochte sie sich aufzusetzen. Ihre Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt, und sie konnte erkennen, dass sie auf einem Strohsack saß und dass man ihr eine Decke zur Verfügung gestellt hatte. Außerdem gab es einen kleinen, wackelig wirkenden Tisch, auf dem ein Wasserkrug und eine Schüssel standen. Auch ein Handtuch war da.
Die Vorstellung, sich waschen zu können, verlieh Nora Kraft. Dann allerdings erschrak sie. Ihre Maske war fort! Hieß das, dass alle Welt bereits wusste, wer The Cat war? Hatte man Brandon schon mit dem Vorwurf konfrontiert, dass er eine Diebin zur Braut gewählt hatte? Sie hob die Hand und tastete mit zitternden Fingern nach der Perücke. Dem Himmel sei Dank, die befand sich noch an ihrem Platz.
Hoffnung regte sich in Nora. Vielleicht war
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