Die schöne Diebin
Pferd hole, wird sie doch bald aufgeben müssen. Ich verlasse mich darauf, dass Sie sie weiterverfolgen und sie uns tot oder lebendig bringen.“
„Sie sollten sie nicht töten“, antwortete Brandon. „Sie muss vor Gericht gestellt werden!“
„Schon gut, ich werde sie nur verwunden.“ Er brachte sein Tier zum Stehen und zielte. „Und jetzt lenken Sie Ihr Pferd zur Seite, damit ich nicht Sie treffe!“
Brandon wusste, dass er keine Wahl hatte. Wenn er sich verdächtig machte, würde Witherspoon alles daransetzen, ihn zu ruinieren. Trotzdem überlegte er einen Moment lang, ob er den Geschäftsmann nicht irgendwie von seinem Vorhaben abhalten könne. Doch zu spät! Der Schuss krachte, und zu seinem Entsetzen sah Brandon, wie Nora zusammenzuckte und beinahe vom Pferd rutschte.
„Getroffen!“, schrie Witherspoon. „Los, Stockport, Sie erwischen sie!“
Das will ich hoffen! Und zwar, ehe es zu spät ist!
Nora näherte sich jetzt einem Wald, in dem sie sich vermutlich verstecken wollte. Infolge ihrer Verwundung war sie nicht mehr so schnell. Brandon holte auf. Dann verschwand sie zwischen den Bäumen. Gleich darauf hatte auch er den Waldrand erreicht. Er ließ sich vom Pferd gleiten und rief: „Nora, ich bin’s!“
Irgendwo raschelte etwas im Unterholz.
„Nora?“
„Ich werde nicht zögern zu schießen!“
Dem Himmel sei Dank, noch hat sie ihren Kampfgeist nicht verlo ren! „ Nora, Liebste, ich bin hier, um dir zu helfen. Du musst das, was du auf dem Ball gehört hast, missverstanden haben. Ich …“
„Was ihr gesagt habt, war eindeutig!“, unterbrach sie ihn.
„Nein! Aber jetzt fehlt die Zeit für Erklärungen. Bitte, denk doch an unsere gemeinsamen Stunden. Du musst gefühlt haben, was ich für dich empfinde!“
Sie ließ die Pistole sinken.
„Bist du schwer verletzt?“
„Es ist nur ein Kratzer. Aber er bereitet mir ziemliche Schmerzen.“
Inzwischen hatte er entdeckt, wo sie sich versteckte. „Darf ich zu dir kommen? Gut. Wo bist du getroffen?“
„An der Schulter.“
„Dann musst du als Erstes dein Hemd öffnen.“ Er hatte Nora erreicht und untersuchte die Wunde. Sie blutete heftig. „Mehr als ein Kratzer ist es schon. Aber wirklich gefährlich scheint es zum Glück nicht zu sein.“ Brandon riss einen Streifen von seinem eigenen Hemd ab und legte Nora einen Verband an. „Das müsste die Blutung stoppen – was sehr wichtig ist, damit die Hunde kein Blut riechen. Und nun können wir uns auf den Heimweg machen.“
„Auf den Heimweg? Brandon, es ist vorbei! Ich werde nicht mit dir gehen!“
„Du hast recht.“ Er zeigte sich scheinbar nachgiebig. „Wir können nicht zusammen verschwinden. Ich werde hier warten, bis die anderen eintreffen. Du aber begibst dich sofort nach Stockport Hall.“
„Unmöglich, es herrscht zu viel Misstrauen zwischen uns!“
„Es herrscht zu viel Leidenschaft zwischen uns! Deshalb darfst du dein Leben jetzt nicht aufs Spiel setzen.“
„Ich bin nicht die zukünftige Lady Stockport, sondern The Cat. Ich habe mein Leben der Unterstützung der Armen und der Zerstörung neuer Fabriken gewidmet!“
Er überlegte angestrengt, wie er sie umstimmen könnte. „Dein Gatte ist tot“, sprudelte er hervor. „Das wollte ich dir schon auf dem Ball sagen. Du bist frei. Aber wenn du heute Nacht stirbst, kannst du kein neues Leben anfangen.“ Vorsichtig zog er sie an sich. Dann küsste er sie heftig. Er spürte, wie sie sich gegen ihn sinken ließ. „Ich wusste, dass meine Leidenschaft dir irgendwann das Bewusstsein rauben würde“, scherzte er.
„O Gott, Brandon“, hauchte sie, „das ist nicht witzig. Ich … Hilf mir! Witherspoon ist entschlossen, mich umzubringen. Er kann nicht riskieren, dass ich …“ Jetzt war sie tatsächlich in Ohnmacht gefallen.
Vom Waldrand her waren Rufe zu hören.
Verflucht! Stockport wusste, dass es für eine Flucht zu spät war. Er hob die bewusstlose Nora hoch und ging Witherspoon und seinen Leuten entgegen.
„Sie haben das Weib!“ Der Geschäftsmann sprang vom Pferd und eilte auf Brandon zu. Er schlug Noras Umhang zurück und nickte zufrieden. „Ich hatte also recht. Worum wollen wir wetten, dass es niemand anders als Eleanor Habersham ist?“ Er streckte die Hand nach der Maske aus.
„Langsam!“ Brandon trat rasch einen Schritt zurück. „Sie ist verletzt.“ In diesem Moment bemerkte er die Masse blonden Haars, die unter dem verrutschten Kopftuch hervorquoll. Beinahe hätte er vor Erleichterung laut
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