Die schoene Frau Seidenman
Biographien. Sie senkte den Kopf und betete still um Durchhaltekraft für sich und die Kinder. Die Kinder schauten neugierig zu.
Władzio Gruszka aber streckte Schwester Weronika hinter ihrem Rücken die Zunge heraus. Ich bin Artur Hirschfeld, dachte er rachsüchtig, und werde nie irgend so ein Gruszka sein, mag passieren, was da will!
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D er Richter konnte nur schwer einschlafen. Er hörte die langsamen Schläge der Uhr, die nachts die Viertelstunden verkündete. Der Schlaf kam gewöhnlich erst um drei Uhr früh. Im Winter nahm der Richter das ruhig hin, doch im Sommer empfand er die Schlaflosigkeit als grausam. Die Vögel begannen bereits auf den Baumzweigen zu zwitschern, der Himmel im Osten wurde hell, und der Richter sank erst jetzt in den Schlaf, der ihm dieses, noch für ihn bestimmte Stück Welt nahm. Er schlief traumlos, flach, wissend, daß er schlief, auf die morgendlichen Laute horchend, das Geschirrklirren hinter der Wand, das Geräusch der erwachenden Straße, die Rufe der Fuhrleute, die Stimmen der zur Schule eilenden Kinder, das Klingeln der Straßenbahnen, die Atemzüge der Liebenden, das Bellen der Hunde. Im Winter ließ sich das ertragen, denn wenn er dann aufwachte, pochte das blasse Morgenlicht erst leicht an die Fenster. Im Sommer jedoch schlug er die Augen auf in einer Flut von Sonnenlicht, im vollen, reifen Duft der Natur, er hatte folglich das Gefühl, ihm seien kostbare Augenblicke des Lebens gestohlen worden, und davon hatte er, wie er glaubte, nicht mehr viele. Trotzdem schätzte er die schlaflosen Nächte, denn dann umfingen ihn Stille und Einsamkeit, er konnte beliebig mit sich reden, auf seine eigene Weise philosophieren, ja sogar auf seine eigene Weise beten, das heißt Gott herbeirufen, damit Er richte und gerichtet werde. Er lag in seinem breiten Bett, zur Linken die Wand, an der Wand die Tapete mit dem zarten graublauen Muster, die Zeichnung exotischer Blumen und Drachen wie auf den chinesischen Paravents seiner Jugendzeit, zur Rechten den Nachttisch, darauf die Lampe mit dem Schirm, einige Bücher, den Aschenbecher mit dem Zigarrenstummel, Tellerchen, Messer und Apfel. Sein Schlafzimmer war geräumig, vollgestellt, unordentlich, der Kleiderschrank immer halb offen, das Sofa mit dem abgenutzten, fadenscheinigen Bezug, die Stühle aus Bambusgeflecht, der ausgeblichene Teppich und die Deckenlampe in Form eines Körbchens. Doch der Richter liebte dieses Zimmer. Hier fühlte er sich am wohlsten, denn jeder Gegenstand trug den Stempel seiner Einsamkeit. Schloß er abends hinter sich die Tür zum Schlafzimmer, um dort bis zum Morgen zu verweilen, so fand er sich selbst. Vor allem in den Okkupationsjahren war dieses Zimmer seine Festung, als ob ihn jenseits seiner Schwelle das Böse erreichen könnte. Er zog sich langsam aus und verstreute seine Kleidungsstücke auf die Stühle, wie er das ein Leben lang getan hatte, seit er der Kuratel des verständnislosen Hauslehrers entronnen war, der ihn bis zu seinem zwölften Lebensjahr von früh bis abends gedrillt und zu Ordnung, Genauigkeit und vorbildlichen Manieren angehalten hatte. Das war in Podolien gewesen, in einer längst gestorbenen Welt, die er noch als junger Mensch verlassen hatte, um sich von nun an einsam mit dem Schicksal zu messen. Er zog sich langsam aus und freute sich an dem Durcheinander. Dann zog er das lange Nachthemd an, setzte sich auf das weiche Bett und rauchte die Hälfte einer Zigarre. Schließlich legte er sich bequem auf das Laken, faltete die Hände über dem Federbett, schaute zur Decke empor und dachte nach. Die Uhr verkündete die Viertelstunden der Nacht. Manchmal nahm Gott neben dem Bett des Richters Platz, und sie sprachen miteinander. Hin und wieder kam auch der Teufel. Der war indessen nicht selbstsicher genug, setzte sich deshalb auf das Sofa, und der Richter wandte sich mit dem ganzen Körper dem Zimmer zu, stützte den Kopf in die Hand, blickte dem Teufel in die Augen und verspottete ihn tapfer. Die Nachttischlampe brannte. Dunkelheit duldete der Richter nicht.
An jenem Abend war er völlig allein. Er saß im Bett und schnupperte dem Rauch der Zigarre nach, die langsam im Aschenbecher verlosch. In den schweren Kriegszeiten kosteten die Zigarren ein Vermögen, aber er konnte nicht darauf verzichten. »Auf meine Zigarren und meine Würde werde ich nie verzichten!« pflegte er im Freundeskreis zu sagen. Er saß und genoß den Zigarrenrauch, als plötzlich jenseits der Wand das Telefon klingelte. Es
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