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Die schoene Frau Seidenman

Die schoene Frau Seidenman

Titel: Die schoene Frau Seidenman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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zu ihm. Er erschien hinter den Apfelbäumen als graues, flüchtiges Wölkchen und flog durch das offene Fenster in das Zimmer. Der Richter begrüßte den Besuch dankbar und erleichtert. Das geschah an einem frühen Morgen, im Juli, bei schönem Sonnenwetter. Der Morgen war ziemlich kühl, die Stämme der Apfelbäume noch vom Nebel umsponnen, aber die Sonne stand schon am Osthimmel, und der Tag versprach, heiß zu werden. Die ersten Insekten summten, über den Dächern segelten die Schwalben. Der Richter betrachtete den Tod voller Ruhe und Würde, weil er sich an alles erinnerte. Die Erinnerung, des Richters Schutzengel, war bei ihm. In diesem Sinne blieb er privilegiert.
    Aber das kann jeder haben.
      Sterbend sagte er »Hier!« und lächelte sanft. Seine Kerze erlosch. Doch die Sonne beleuchtete das Gesicht des Richters über lange Stunden, am Morgen und zur Mittagszeit. Erst dann betraten seine Verwandten das Zimmer und sahen, daß der alte Mann nicht mehr lebte.
      An jenem Abend jedoch, im Nachthemd auf seinem Bett sitzend, sagte er »Hier!« als wäre er aufgerufen worden und meldete sich bei der Welt, an jenem Abend lebte er noch. Er lebte mehr als irgendwann zuvor, denn nun setzte er sich dem Stich des Bösen, dem Stachel des Schicksals aus, von nun an sollte er mit dem Bösen nicht nur in seinem Gewissen, seinen Gedanken, seinen guten Taten ringen, sondern mit seiner gesamten Existenz. Das hatte er seit langem ersehnt. Um mit seinem Leben für die Erinnerung zu zeugen, wenn das nötig würde. Gott war ihm gnädig und gestattete ihm, das größte Opfer darzubringen. Er war zwar keine Ausnahme, gehörte aber zu der kleinen Minderheit, die solche Wahlakte vollzog. Es war eine glückliche Nacht im Leben des Richters.
    Später sollten viele derartige Nächte folgen. Von dieser Zeit an schlief er gut und litt nicht mehr unter Schlaflosigkeit. Er hörte nicht mehr in flachem Schlummer die Stimmen der Welt, die gleichsam ohne seine Beteiligung existierte. Er schlief fest und kümmerte sich überhaupt nicht um seine zeitweilige Abwesenheit.

8
    A ls Dr. Adam Korda von den Schwierigkeiten der Frau Hauptmann Gostomska erfuhr, saß er gerade am Verandafenster und las Lukian. Ein junger Mann mit Räuberblick stand auf der Schwelle und teilte dem Doktor mit, er habe eine gewisse Frau Gostomska, die der jüdischen Herkunft verdächtig sei, zur Gestapo gefahren.
      »Eine so elegante Dame kann keine Salcia sein«, sagte der Rikscha-Fahrer, nickte zum Abschied und ging. Dr. Korda aber blieb zurück, Lukian in der Hand und Empörung im Herzen.
    Doch als klassischer Philologe hatte er sich in Jahren geistiger Betätigung einen Sinn für logische, geschwinde Beobachtung erworben. Es verging kein Augenblick, und schon konnte er sich erinnern, daß er und die Frau Hauptmann einen gemeinsamen Bekannten hatten, nämlich Herrn Pawełek, dem er seinerzeit begegnet war, als dieser gerade die Wohnung der Witwe des Artillerieoffiziers verließ. Sie hatten sich damals nicht nur begrüßt, sondern auch ein paar Bemerkungen über Alltagsdinge ausgetauscht. Dr. Korda wunderte sich nicht, daß Pawełek, selbst Sohn eines Offiziers, der im Kriegsgefangenenlager saß, Frau Gostomska besuchte; schließlich war sie Offizierswitwe und darum höchstwahrscheinlich eine Bekannte von Pawełeks Eltern. Der klassische Philologe verlor keine Zeit. Er ließ den Lukian auf dem Fensterbrett liegen, begab sich flugs in die Stadt und informierte Pawełek über das Mißgeschick, in das die Frau Hauptmann geraten war. Pawełek nahm das ruhig auf, so ruhig, daß der klassische Philologe zu seinem Lukian zurückkehrte, ohne zu ahnen, in welche Bedrängnis er den jungen Mann gebracht hatte.
      Doch Pawełek dachte nicht daran, die Hände in den Schoß zu legen. Er wählte am Telefon eine Nummer und bat um Herrn Filipek. Am anderen Ende der Leitung hörte er eine Maschine dröhnen.
      »Filipek«, ließ sich eine männliche Stimme vernehmen. »Was ist denn?«
      »Herr Filipek, hier ist Paweł«, sagte Pawełek. »Wir müssen uns sofort treffen.«
    »Nicht sofort. Nach Feierabend. Und wo?«
    »Auf der Miodowa-Straße, in der Konditorei, ja?«
    »Meinetwegen in der Konditorei. Ich bin um vier da.«
      Pawełek wartete an dem Marmortischchen unmittelbar neben dem Eingang. Filipek kam pünktlich.
      »Herr Filipek, Frau Seidenman ist aufgeflogen«, sagte Pawełek.
      »Sag nicht so etwas«, murmelte Filipek. Er trug Eisenbahneruniform, die Mütze

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