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Die schoene Frau Seidenman

Die schoene Frau Seidenman

Titel: Die schoene Frau Seidenman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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Er hieß Dr. Mieczysław Hirschfeld. Sie wissen das doch ganz genau, Schwester.«
      »Ich weiß es. Ich leugne es nicht. Aber du mußt es vergessen. Du heißt Władzio Gruszka. Dein Vater war Tischler.«
    »Wir können verabreden, daß er Tischler war, ich weiß, worum es geht. Vergessen Sie das auch nicht, Schwester, ja?« »Ja, das vergesse ich nicht. Wie heißt du mit Vornamen?«
    »Władzio Gruszka, mein Vater ist Tischler.«
      Er lächelte spöttisch und hob die Schultern. Sein Blick war herausfordernd. Für einen Moment haßte ihn Schwester Weronika. Immer entzog er sich ihr. Doch das dauerte nur kurz. Sie dachte: Ich lasse ihn bis Kriegsende nicht raus. Wenn ich ihn rauslasse, geht er nur deshalb zugrunde, um mir einen Tort anzutun.
      In dieser Hinsicht tat er ihr keinen Tort an. Er überlebte den Krieg, wurde ein untersetzter, kurzsichtiger Mann und nannte sich Władysław Gruszecki. Seine Biographie war raffiniert und elegant komponiert, aber nicht ganz überzeugend. Er gehörte zu den Menschen, die nicht Maß hielten. Vielleicht hatte er sich in seiner Kindheit zu sehr daran gewöhnt, mehrere Existenzen gleichzeitig zu leben, und daran Geschmack gefunden. Er konnte sich von der Vielfalt seiner Existenzen nicht mehr lösen. Władysław Gruszeckis Vater war sowohl Zahnarzt als auch Tischler gewesen. Ein Zahnarzt, der die Tischlerei als Hobby betrieb, so formulierte er das in späteren Jahren. Władysław Gruszeckis genealogischer Stammbaum wies viele seltsame Lücken auf und hatte viele komplizierte Verästelungen. Seine Herkunft war adelig, sie reichte zurück in die Zeiten vor den Teilungen. Seine Vorfahren waren Schwertträger, Richter und Fähnriche gewesen, weil Władysław Gruszecki in seinen Jugendjahren viele Male  Sienkiewicz' Trilogie  gelesen und ihre Figuren liebgewonnen hatte.
    Er war ein Pole von echtem Schrot und Korn, trug einen großen Schnurrbart und flocht in seine Rede ganz zufällig und ungezwungen allerlei Wendungen ein, die überzogen waren von der Patina der Vergangenheit. Er sagte »Euer Liebden!« oder »dieweil, mithin, daselbst«, und manchmal kam es sogar vor, daß er »sintemalen« sagte; das war denn doch zuviel, sogar für sehr verständnisvolle Zuhörer.
      Er tat nicht nur nichts Schwester Weronika zum Tort, sondern hatte an ihren Lehren solch einen Gefallen gefunden, daß er seine Mentorin an katholischem Eifer übertraf. Sie lag nicht in Kreuzesform auf dem Steinboden der Kirchen – er tat das häufig. Seine Ansichten waren äußerst entschieden, ernsthaft und nachahmenswert. Er hatte einen antideutschen und antisemitischen Komplex und sprach sich für die Freundschaft mit der Sowjetunion aus, weil er die Freundschaft mit dem russischen Volk für die Grundlage einer besseren Zukunft seines geliebten Vaterlandes hielt. Darin stimmte er mit Schwester Weronika nicht überein, für die der Kommunismus sich als Erfindung des Teufels erwiesen hatte, als böser Krieg gegen Gott. Für die Russen empfand Schwester Weronika gemäßigte Abneigung und Mitgefühl. Sie erinnerte sich aus ihrer Kindheit an die Kosakenpatrouillen auf den schlammigen Wegen Kongreßpolens, ebenso an die Einberufung zum zaristischen Militär. Sie mochte die Popen und die orthodoxen Kirchenlieder nicht. Die Hauptstadt ihrer unsterblichen Seele war Rom, Warschau die Hauptstadt ihres Polentums. Władysław Gruszecki dagegen verhielt sich zur orthodoxen Kirche mit der gutmütigen Überlegenheit des eifrigen Katholiken, zum Kommunismus mit der mißtrauischen Furcht eines Freundes der alten Reußen. Vor allem jedoch liebte er sein Polentum, dessen würdevolle Vergangenheit und herrliche Zukunft in der Slawenfamilie. Die Deutschen nannte er ›Schwaben‹ und die Juden ›Jidden‹. Er verkündete, berücksichtigt man seine Vergangenheit, etwas erstaunliche Diagnosen, nämlich: Die Jidden richten unser Land zugrunde! Mit Zurückhaltung reagierte er auf die Neuerungen in der römischen Kirche nach dem Vaticanum II. In dieser Sache hatte er eine Zeitlang – das muß man zugeben – Schwester Weronika zur Bundesgenossin. Auch sie betrachtete mit Angst und Zögern alle Neuerungen, die sich im Katholizismus seit dem Pontifikat des guten Papstes Johannes eingenistet hatten. Doch Schwester Weronika glaubte demütig und nahm die Veränderungen bald an. Sie sagte, Klügere als sie hätten über das neue Antlitz der Kirche entschieden, und befahl ihrer Seele Gehorsam. Nach einiger Zeit fand sie in der neuen

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