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Die schoene Frau Seidenman

Die schoene Frau Seidenman

Titel: Die schoene Frau Seidenman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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der Herr Jesus selbst, weshalb es das Recht hatte, sich den ›Christus der Nationen‹ zu nennen; er schätzte weder die orthodoxen und lasterhaften Moskowiter noch die lutherischen und brutalen Deutschen, aber auch nicht die alttestamentarischen und lärmenden Juden, wenn er auch selbstverständlich die Moskowiter anders geringschätzte, weil sie die Verfolger waren, weil es da Sibirien, die Knute, die  Kibitka  gab, und wieder anders die Deutschen, die ewigen Feinde, die zwar vielleicht mehr konnten, vielleicht sogar besser arbeiteten, Kujawski aber als Slawen verachteten, was er ihnen mit Feindseligkeit und Spott heimzahlte, und wieder anders die Juden, weil sie tiefer standen als er und ihn ständig überlisten und zum besten halten wollten, während er sich einheimisch fühlte und mehr auf der eigenen Scholle als sie alle. Sie waren Hergelaufene, er aber urpolnischen Wurzeln entwachsen, es waren seine Flüsse, Felder, Wälder und Landschaften, in denen sie nur als Wanderer auftraten. Die jüdischen Geschäfte, Häuser, Werkstätten ärgerten Kujawski, weil sie ihm den Raum wegnahmen, in dem er selbst nur mit Mühe Platz fand. Er mußte manchmal die Ellbogen gebrauchen, um im eigenen Haus einen Winkel zu finden, wo er sein müdes Haupt niederlegen konnte.
      Kujawski rang schrecklich mit sich, stundenlang, aber abends ging er in den ersten Stock und erklärte dem Richter, er nehme die Arbeit bei Mitelman auf der Bielańska-Straße an.
      »Ich bin der Armut müde, Herr Richter«, sagte er, als wollte er rechtfertigen, daß er die Waffen streckte, die polnische Sense in die Ecke stellte und die jüdische Nadel ergriff.
      Der Richter Romnicki antwortete: »Gott sei Dank, daß Sie ein wenig Grips im Kopf haben, Herr Kujawski.«
      Kujawski war ein Schneider mit Talent, Mitelman aber ein Meister über alle Meister. Dem Eigentümer der beliebten Firma auf der Bielańska-Straße gefiel der kleine und emsige christliche Mitarbeiter und zwar umso mehr, als Mitelman ein Interesse daran hatte, wenigstens einen einzigen Goj zu beschäftigen, weil ihm das die launenhafte Kundschaft gewogen stimmte. Er schickte Kujawski in die besten Häuser, denn ein christlicher Handwerker in den besten Häusern, sogar in sehr liberalen, fortschrittlichen und feinen, beeinträchtigte nicht eine bestimmte ewige moralische Ordnung, obwohl er auch der europäischen Weltsicht nicht hinreichend entgegenkam. Kujawski verdiente nicht schlecht, machte aber kein Vermögen. Er blieb in seinem Souterrain.
    Doch im Jahr 1940 rüstete Mitelman zum Umzug ins Ghetto. An einem windigen und regnerischen Herbstabend erschien er in Kujawskis Souterrain und sagte: »Herr Apolinary, ich gehe ins Ghetto. Bei mir lagert der beste Cheviot von ganz Warschau, das wissen Sie. Ich habe hundertfünfundzwanzig Ballen  Bielitzer Rapaport , ich habe auch von Jankowski die Ballen, die wir kurz vor dem Krieg gemeinsam ausgesucht haben. Ich verfüge über eine Werkstatt, die ich Ihnen nicht zu beschreiben brauche. Ich gehe ins Ghetto. Sie sind der einzige Christ in meiner Firma, Sie bewahren mir das auf für bessere Zeiten.«
      »Herr Mitelman«, rief der Schneider Kujawski, »wo soll ich Ihnen das aufbewahren? Hier im Souterrain?«
      »Sage ich, hier im Souterrain? Das ist doch ein Vermögen. Nehmen Sie etwas Ware, kaufen Sie eine Werkstatt, verdienen Sie, verwahren Sie, bringen Sie mir etwas vom Gewinn ins Ghetto, denn ich vertraue Ihnen wie meinem eigenen Vater. Und wenn der Krieg zu Ende ist, gründen wir gemeinsam ein Geschäft, Mitelman und Kujawski, meinetwegen auch Kujawski und Mitelman oder Kujawski und Compagnon, mir liegt nicht mehr daran, aber besser für Sie wäre doch Kujawski und Mitelman, weil der Name ein bißchen zählt, man kennt mich ein bißchen in der Stadt.«
      Und so geschah es. Der Schneider Kujawski nahm das Vermögen des Schneiders Mitelman in Besitz. Sie trafen sich im Gerichtsgebäude auf der Leszno-Straße, solange das möglich war, Kujawski brachte Mitelman Geld, er brachte Lebensmittel, er brachte ein gutes Wort, er brachte sein Mitgefühl, seine Freundschaft, seinen Rat. Mitelman wurde immer schwächer, Kujawski immer stärker, doch freute ihn das ganz und gar nicht, weil er wußte, daß eine furchtbare Ungerechtigkeit vor sich ging, daß die Juden litten, starben, zugrunde gingen, und das war eine alle menschliche Vorstellung überschreitende Strafe für ihre Sünden, selbst wenn sie schlimm gesündigt, nämlich dem

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