Die schoene Frau Seidenman
seine Bekanntheit unter dieser einflußreichen Kundschaft zugunsten der nationalen polnischen Interessen zu verwenden. Weil er dennoch Patriot war, sparte er nicht an heimlicher Unterstützung der Widerstandsbewegung. Er unterstützte auch Künstler. Er spendete erhebliche Summen für den Ankauf literarischer Manuskripte, die nach dem Kriege veröffentlicht werden sollten. Er kaufte Ölgemälde von Malern und sammelte sie in seiner geräumigen Wohnung, fest entschlossen, diese Sammlung im freien Polen einem Museum zu übergeben, selbstverständlich mit dem Namen des Spenders auf entsprechenden Schildern oder gar an der Frontseite des Gebäudes.
Kujawski erwarb sein Vermögen dank ungewöhnlicher Umstände und des Rufs, ein redlicher Mann zu sein. In früheren Jahren, als er gleich nach dem Großen Kriege auf Arbeitssuche nach Warschau gezogen war, streifte er zunächst verschiedene Schneiderwerkstätten, ohne irgendwo warm zu werden, weil er radikal christlichen Anschauungen huldigte und bei Juden nicht arbeiten wollte, während das christliche Handwerk seines Fachs mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte und an allzuvielen Händen für die Arbeit litt. Kujawski wohnte damals im Souterrain auf der Miodowa-Straße, einsam, klein und gezeichnet von zornigem Stolz infolge seiner Armut. Er verdiente sich etwas, indem er die Anzüge der Herren bügelte, die in demselben Haus wohnten, oder die Kleidung der örtlichen armen Leute flickte. Einer dieser einflußreichen Kunden war in jenen Jahren der Richter Romnicki, ein Original und Weiser, der den kleinen Schneider lieb gewann. Eines Tages, als Kujawski dem Richter seine gestreiften Hosen in die Wohnung im ersten Stock brachte, sagte der Richter: »Herr Kujawski, ich habe eine feste Stelle für Sie.«
»Der Herr Richter belieben zu scherzen«, antwortete der Schneider.
»Fällt mir nicht ein. Haben Sie von Mitelman gehört?«
»Mitelman? Der von der Bielańska-Straße?«
»Ganz recht. Ich lasse bei ihm seit dreißig Jahren arbeiten. Er ist ein großer Künstler der Schere und ein Mensch von untadeligem Charakter. Er ist bereit, auf meine Fürsprache hin, sie zu beschäftigen, lieber Herr Kujawski.«
»Herr Richter, ich bin ein christlicher Schneider.«
»Reden Sie keinen Unsinn, Herr Kujawski. Heftet man auf christliche Weise anders als auf jüdische?«
»Das möchte ich nicht behaupten, aber bei denen herrschen Sitten, die…«
»Herr Kujawski«, unterbrach ihn der Richter, »ich habe Sie für einen vernünftigen Mann gehalten. Mitelman ist bereit, Sie einzustellen. In fester Stellung. Bei ihm arbeiten mehrere Zuschneider und ein Dutzend Hilfskräfte. Eine große Firma. Die beste Kundschaft in ganz Warschau. Was wollen Sie mehr? In einigen Jahren, wenn Sie sich ins Geschirr legen und sparen, können Sie einen eigenen Betrieb gründen. Ja, und endlich heiraten, Herr Kujawski, denn dafür ist es schon höchste Zeit.«
»Ich werde nie heiraten, Herr Richter.«
»Das ist Ihre Sache. Also, wie steht's?«
Kujawski bat erst einmal um Bedenkzeit und versicherte, er werde gegen Abend die Antwort bringen. Er rang heftig mit sich. Den Juden gegenüber empfand er Abneigung, aber sie waren ihm auch fremd. Er war unter ihnen aufgewachsen, doch in einer gewissen Entfernung. Durch die Andersartigkeit ihrer Sprache, ihrer Sitten, ihres Aussehens weckten sie in ihm Neugier und Angst. In seinem Heimatstädtchen hatten die Juden die große Mehrheit gebildet, doch die Christen hatten sich für etwas Besseres gehalten, vielleicht gerade deshalb, weil sie, die Minderheit, sich von der Welt bevorzugt fühlten. Es handelte sich dabei um eine hierarchisch gegliederte Welt, und jeder kannte darin seinen Platz. Auf dieser Leiter standen die Juden allein dank ihrem Judentum tiefer als die Christen und Kujawski hatte nicht erforscht, warum. So war es eben seit frühesten Zeiten, sicher seit jenem Tag, an dem die Juden den Herrn Jesus kreuzigten. Gott selbst hatte diese Bräuche auf Erden eingeführt, vielleicht um die Juden für Unglauben, Widerstand und Verrat zu strafen, die sie sich Ihm gegenüber hatten zuschulden kommen lassen.
Kujawski war ein zutiefst gläubiger Mensch, und er glaubte so wie die anderen Leute um ihn herum. Er betete, ging in die Kirche, empfing das allerheiligste Sakrament, vertraute sich der Obhut der Muttergottes an, liebte Polen, das für ihn wahrhaft katholisch war und am Kreuz der Unfreiheit litt wie – ohne vergleichen zu wollen –
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